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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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palladianische Ideale. Es war eine ausgesprochen wissenschaftliche Periode, in der man glaubte, man könne alles, einschließlich der Schönheit und ihrer Wahrnehmung, auf wissenschaftliche Grundlagen reduzieren. Da Palla dios Buch mit den Bauplänen auch ein geeignetes Lehrbuch für Laienarchitekten war, wurde es für einen Mann wie Jefferson praktisch und ideell unersetzlich. In dem halben Jahrhundert, bevor er mit dem Bau Monticellos begann, wurden etwa vierhundertfünfzig Handbücher der Architektur veröffentlicht, er hatte also eine große Auswahl, doch er war und blieb ein Anhänger Palladios. »Palladio ist die Bibel«, sagte er.
    Als Jefferson anfing zu bauen, war er übrigens noch nie in einer Stadt gewesen, die größer als Williamsburg war, die Hauptstadt der Kolonie, in der er das William-and-Mary-College besucht hatte, und Williamsburg mit seinen zweitausend Einwohnern war schwerlich eine Metropole. Obwohl er später nach Italien reiste, sah er die Villa Capra dort nie, wäre aber sicher sehr erstaunt gewesen, weil sie im Vergleich zu Monticello riesig ist. Auf Illustrationen sehen beide Gebäude sehr gleich aus, doch Palladios Bau besitzt Ausmaße, gegenüber denen Monticello winzig klein wirkt. Das liegt unter anderem daran, dass die Arbeitsbereiche der Dienstboten in den Berghang hinein gebaut wurden und von Haus und Garten aus unsichtbar sind. Überhaupt befinden sich große Teile Monticellos unter der Erde.
    Die Besucher des Anwesens erblicken heute ein Haus, das Jefferson nie gesehen, von dem er nur geträumt hat. Zu seinen Lebzeiten wurde es nicht nur nicht fertig, sondern nicht einmal richtig schön und wohnlich. Er lebte vierundfünfzig Jahre lang auf einer Baustelle. »Aufbauen und Abreißen gehören zu meinen Lieblingsbeschäftigungen«, sagte er einmal fröhlich, und das war auch gut so, denn er hörte nie auf, herumzubosseln und herumzubasteln. Doch weil sich die Arbeiten so lange hinzogen, verfielen schon Teile, während andere noch im Bau waren.
    Vieles an Jeffersons Plänen war knifflig. Das Dach war der Alptraum eines Architekten, denn man musste unnötig kompliziert Grate an Dachschrägen anfügen. »An der Stelle war er definitiv mehr Laie als Profi«, erzählte mir Bob Self, für die innen- und außenarchitektonischen Belange Monticellos verantwortlicher Konservator, als er mich herumführte. »Der Entwurf war sehr solide, aber viel, viel komplizierter als nötig.«
    Jefferson war zudem penibel bis zur Schrulligkeit. Manche seiner Planungen sahen Maße bis zu sieben Stellen hinter dem Komma vor. Self zeigte mir ein seltsam präzises Maß von 1,8991666 Zoll. »Selbst heute könnte niemand etwas so exakt messen«, sagte er. »Hier geht's um ein millionstel Zoll. Ich vermute, es war einfach eine intellektuelle Spielerei. Was sonst sollte es sein?«
    Das Merkwürdigste an dem Haus waren die beiden Treppenaufgänge. Jefferson fand Treppenaufgänge Platzverschwendung, deshalb machte er sie nur sechzig Zentimeter breit und sehr steil »eher eine kleine >Treppen-Leiten«, meinte ein Besucher. Die Treppen waren so eng und drehten sich so eng umeinander, dass beinahe alles, was man hinaufbefördern wollte, einschließlich fast allen Gepäcks der Besucher, außen mit einer Winde hochgezogen und durchs Fenster hereingeholt werden musste. Und da die Treppen überdies so tief im Haus vergraben waren, dass kein natürliches Licht hineinfiel, waren sie stockduster. Selbst heute ist es noch enervierend, sie zu benutzen, besonders beim Hinuntergehen. Und weil sie so gefährlich sind, dürfen Besucher nicht in den ersten und zweiten Stock, womit für weite Bereiche Monticellos leider »Zutritt verboten« gilt. (Sie werden überwiegend als Büros genutzt.) Was auch heißt, dass man den allerschönsten Raum im Haus nicht besichtigen kann: das Himmelszimmer, wie Jefferson sagte, den Raum in der Kuppel. Mit seinen gelben Wänden, dem grünen Fußboden und den prächtigen Ausblicken wäre er das perfekte Arbeitszimmer, Atelier oder überhaupt Rückzugsort, doch das Hineinkommen gestaltete sich immer schwierig, und zu Jeffersons Zeiten konnte man sich ein Drittel des Jahres auch schon deshalb nicht dort aufhalten, weil man nicht wusste, wie man ihn heizen sollte. Er wurde zum Dachzimmer, das man zum Lagerraum umfunktionierte.
    Ansonsten war das Haus ein Wunder. Die Kuppel, das markanteste Merkmal, musste auf sehr komische Weise gebaut werden, damit sie auf die bereits existierenden tragenden Wände hinten im

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