Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
ausreichend bewundert, verkündet nach einem Moment Bedenkzeit, er habe sie nun von beiden Seiten gesehen, und berührt leicht mit seinem Stock den Po der sechzehnjährigen Margaret. »Weiterer Freiersmühen bedurfte es nicht«, schreibt Aubrey voller Anerkennung.
Ob diese Geschichte wahr ist oder nicht — und der Hinweis sei gestattet, dass Aubrey sie einhundert Jahre später niederschrieb —, jedenfalls hielt es damals niemand für komisch, dass Morus' große Töchter neben dem elterlichen Bett nächtigten.
Das eigentliche Problem mit Betten bestand, zumindest später in der Viktorianischen Ära, darin, dass sie nicht zu trennen waren von dieser peinlichsten aller Aktivitäten: Sex. Innerhalb der Ehe war Sex natürlich manchmal notwendig. Mary Wood-Allen versicherte in ihrem populären und einflussreichen Was eine junge Frau wissen sollte ihren jungen Leserinnen, dass es in der Ehe gestattet sei, an körperlichen Intimitäten teilzunehmen, solange es »ohne ein Quäntchen geschlechtlichen Begehrens« geschehe. Die Stimmungen und Gedanken einer Mutter zum Zeitpunkt der Empfängnis und während der Schwangerschaft wirkten sich, so glaubte man, auf den Fötus beziehungsweise Embryo fundamental und unumkehrbar aus. Wood-Allen riet Partnern, keinen Verkehr zu haben, wenn in dem Moment nicht »vollkommene Übereinstimmung zwischen ihnen herrsche«, denn sonst sei zu befürchten, dass das Kind behindert oder tot zur Welt komme.
Damit unziemliche Erregung bei Frauen allgemein gar nicht erst aufkam, wies man sie an, viel an die frische Luft zu gehen, keinem stimulierenden Zeitvertreib wie Lesen und Kartenspiel nachzugehen und vor allem ihren Verstand nie mehr als unbedingt nötig zu gebrauchen. Frauen zu bilden oder auszubilden wurde nicht nur als Zeit- und Geldverschwendung betrachtet, sondern auch als höchst gefährlich für ihre zarte Konstitution. 1865 meinte John Ruskin in einem Essay, man solle Frauen lediglich so viel Bildung zukommen lassen, dass sie ihren Gatten von praktischem Nutzen seien, alles darüber hinaus sei von Übel. Selbst die Amerikanerin Catherine Beecher, die nach damaligen Maßstäben eine radikale Feministin war, sprach sich leidenschaftlich dafür aus, Frauen volle und gleiche Rechte auf Bildung zu gewähren, aber stets zu berücksichtigen, dass sie Extrazeit zum Frisieren ihrer Haare bräuchten.
Hehre Aufgabe der Männer wiederum war es, außerhalb des heiligen Ehestands keinen Samentropfen zu verspritzen — und auch innerhalb nicht viele, soweit das mit Anstand zu schaffen war. Eine Autorität auf diesem Gebiet erklärte, es reichere das Blut an und stärke den Verstand, wenn man die Samenflüssigkeit nobel im Körper behalte. Vergieße man diese Wundertröpfchen der Natur unrechtmäßig, bleibe man immer geschwächt an Körper und Geist. Selbst in der Ehe solle man spermamäßig Sparsamkeit walten lassen, da häufiger Sex »träge Spermien« hervorbringe, die wiederum zu trägen Nachkommen führten. Maximal einmal im Monat Verkehr wurde als vernünftig empfohlen.
»Selbstbefleckung« stand natürlich allzeit außer Frage. Als offensichtliche Konsequenzen galten praktisch sämtliche der Medizin bekannten Krankheiten, einschließlich Wahnsinn und früher Tod. »Selbstbeschmutzer« waren mit den Worten eines Chronisten »armselige, kreuchende, zitternde, bleiche, spindelbeinige elende Kreaturen, die sich auf dieser Erde dahinschleppen«. Und ein anderer warnte: »Jeder Akt der Selbstbeschmutzung ist ein Erdbeben — eine Erschütterung — ein tödlicher, ein lähmender Schlag.« Fallstudien führten einem die Risiken immer wieder lebhaft vor Augen. Ein Arzt namens Samuel Tissot beschrieb, dass einer seiner Patienten ein sabberndes Bündel sei, dem wässriges Blut aus der Nase tropfe und der »in sein Bett defäkierte, ohne es zu merken«. Besonders die letzten vier Worte waren niederschmetternd.
Am allerschlimmsten war angeblich, dass die Sucht der Selbstbefriedigung automatisch an die Nachkommen weitergegeben wurde, so dass jeder Moment böser Lust nicht nur den eigenen Verstand aufweichte, sondern auch die Vitalität noch nicht geborener Generationen aufzehrte. Die gründlichste Analyse der Gefahren von Sexualität und demgemäß den längsten Titel lieferte 1857 Sir William Acton in Function und Störungen der Reproductionsorgane in Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter und fortgeschrittenem Leben, betrachtet in ihren physiologischen, socialen und moralischen Bezügen. Acton war es, der
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