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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Männer abgefasst Um sich im viktorianischen England von seiner Frau scheiden zu lassen, musste der Mann nur beweisen, dass sie mit einem anderen Mann geschlafen hatte. Eine Frau aber musste beweisen, dass ihr Gatte auf schlimmere Weise untreu gewesen war, er musste nämlich Inzest oder Sodomie oder sonst ein dunkles, unverzeihliches Delikt begangen haben, das auf einer sehr kurzen Liste stand. Bis 1857 büßte eine Frau, die sich scheiden ließ, ihren gesamten Besitz ein und verlor im Allgemeinen auch die Kinder. Ja, von Gesetzes wegen hatte eine Frau überhaupt keine Rechte — kein Recht an ihrem Eigentum, kein Recht auf freie Meinungsäußerung, kein Recht auf irgendetwas, außer dem, was ihr Ehemann ihr zugestand. Laut dem großen Gesetzeskommentator William Blackstone gab eine Frau bei der Heirat ihr »Leben selbst auf oder ihre legale Existenz«. Eine Ehefrau war keine rechtsfähige Person.
    Einige Länder waren ein wenig liberaler. In Frankreich — eine große Ausnahme — konnte sich eine Frau von einem Mann wegen Ehebruchs allein scheiden lassen, obgleich nur dann, wenn er im ehelichen Heim untreu gewesen war. In England aber waren die Gesetze und ihre Auslegung fürchterlich ungerecht. In einem sehr bekannten Fall war eine Frau namens Martha Robinson jahrelang von einem gewalttätigen, psychisch labilen Mann geschlagen und körperlich misshandelt worden. Als er sie schließlich mit Tripper angesteckt und fast vergiftet hatte, weil er ihr ohne ihr Wissen Pulver gegen die Geschlechtskrankheit ins Essen gemischt hatte, und als sie an Geist und Gesundheit gebrochen war, versuchte sie eine Scheidung zu bekommen. Der Richter hörte sich die Argumente genau an, lehnte dann die Klage ab und schickte Mrs. Robinson mit der Anweisung, sich mehr in Geduld zu üben, nach Hause.
    Selbst wenn alles gutging, war es schwierig, eine Frau zu sein, denn »Frausein« galt per se als pathologisch. Es herrschte mehr oder weniger allgemein die Ansicht, dass Frauen nach der Pubertät entweder permanent krank oder kurz vor dem Ausbruch einer Krankheit waren. In den Worten eines Experten »saugte« die Entwicklung von Brüsten, Uterus und anderer Reproduktionsorgane viel »Energie aus dem begrenzten Vorrat, den ein Individuum besitzt«. Die Menstruation wurde in medizinischen Texten beschrieben, als handle es sich um einen monatlichen Akt fahrlässiger Mutwilligkeit. »Wenn zu irgendeinem Zeitpunkt der monatlichen Periode Schmerzen auftreten, liegt das daran, dass entweder etwas an der Kleidung, der Nahrung oder den persönlichen oder gesellschaftlichen Angewohnheiten des Individuums falsch ist«, lautete ein (natürlich männlicher) Kommentar.
    Die schmerzliche Ironie ist, dass es Frauen häufig nicht gutging, weil ihnen mit Rücksicht auf Schicklichkeit eine vernünftige medizinische Betreuung vorenthalten wurde. Als 1856 eine junge Hausfrau in Boston aus guter Familie den Tränen nahe ihrem Arzt gestand, dass sie manchmal unfreiwillig an andere Männer und nicht an ihren Gatten denke, verordnete der Mediziner eine Reihe strenger Sofortmaßnahmen, unter anderem kalte Bäder und Einläufe, den Verzicht auf alles Stimulierende, einschließlich gewürzter Speisen und der Lektüre »leichter Literatur«, sowie das gründliche Ausbürsten der Vagina mit Borax. »Leichte Literatur« wurde ohnehin stets verantwortlich gemacht für morbide Gedanken und die Neigung zu sogenannter nervöser Hysterie. Ein Autor brachte es mit dem gehörigen Ernst auf den Punkt: »Romane zu lesen führt bei Mädchen zur Erregung der Körperorgane und vorzeitiger Entwicklung, und das Kind wird Monate oder Jahre vor der Zeit physisch zur Frau.«
    Noch 1892 sagte man einem Mann, der mit seiner Frau zwecks Überprüfung ihrer Sehkraft zum Arzt ging, dass das Problem an einem Gebärmuttervorfall liege und sie, solange die nicht entfernt sei, weiterhin schlecht werde sehen können.
    Näher als mit groben Vereinfachungen kamen Ärzte den Fortpflanzungsangelegenheiten der Frauen in keinem Fall. Wollten sie auch nicht. Das konnte ernsthafte Folgen haben, da kein Arzt eine richtige gynäkologische Untersuchung durchführen konnte. Bestenfalls stocherte er vorsichtig unter einem Tuch in einem schlecht beleuchteten Zimmer herum, aber das war schon die große Ausnahme. Frauen, die eine körperliche Beschwerde zwischen Hals und Knien hatten, mussten ansonsten errötend auf die betreffende Stelle an einer Puppe zeigen.
    Ein amerikanischer Arzt rechnete es 1852 den Frauen

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