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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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zu tragen ist natürlich eine Art zu zeigen, dass man nicht körperlich arbeiten muss. Und das war historisch und in vielen Kulturen meist erheblich wichtiger als Bequemlichkeit. Im sechzehnten Jahrhundert kam zum Beispiel Stärke in Mode, und man schmückte sich mit immer prächtigeren Halskrausen, auch wenn einem die riesigsten kaum zu essen erlaubten. Damit man sich trotzdem Nahrhaftes in den Mund befördern konnte, wurden Löffel mit besonders langem Stiel hergestellt. Dass dennoch viel gekleckert wurde und mancher bei einer Mahlzeit hungrig blieb, ist anzunehmen.
    Selbst den simpelsten Dingen verlieh man eine herrliche Sinnlosigkeit. Als um 1650 Knöpfe aufkamen, konnten die Leute gar nicht genug davon kriegen und applizierten sie in schmückender Hülle und Fülle auf Rücken, Kragen und Ärmel jedweder Oberbekleidung, selbst wenn sie dort zu gar nichts nütze waren. Ein Relikt davon ist die kurze Reihe überflüssiger Knöpfe unten an Jackett- und Jackenärmeln. Die waren immer rein dekorativ und nie von praktischem Wert, doch seit dreihundertfünfzig Jahren bringen wir sie immer noch dort an, als könnten wir nicht ohne.
    Am irrationalsten war vielleicht einhundertfünfzig Jahre lang die Mode für Männer, Perücken zu tragen. Wie bei so vielem gehörte auch hier Samuel Pepys zu den Vorreitern und notierte 1663 mit einigem Unbehagen den Kauf eines solchen, noch nicht sehr verbreiteten Kopfschmucks. Ja, Perücken waren so neu, dass Pepys Angst hatte, die Leute würden in der Kirche über ihn lachen. Als das nicht der Fall war, war er sehr erleichtert und sogar ein wenig stolz. Besorgt aber blieb er darum (und das nicht ganz unbegründet), dass das Haar der Perücken unter Umständen von Pestopfern kam. Vielleicht sagt nichts mehr über die Macht der wechselnden Moden aus, als dass Pepys weiterhin Perücken trug, obwohl er befürchtete, sie könnten ihm den Tod bringen.
    Hergestellt wurden sie aus fast allem: menschlichem Haar, Pferdehaar, Baumwollfäden, Ziegenhaar, Seide. Ein Produzent warb für ein Modell aus feinstem Draht. Es gab unendlich viele Arten und Stile: Beutelperücken, Knotenperücken, Offiziersperücken mit Pferdeschwanz und Locken an der Seite und Ramilliesperücken mit einem besonders langen Pferdeschwanz, der oben und unten mit einem schwarzen Bändchen zusammengebunden war, ferner Blumenkohlperücken, Stutzperücken und viele andere mehr, und alle unterschieden sich hauptsächlich in der Länge des Zopfes oder darin, wie lockig die Locken waren. Eine Vollperücke konnte fünfzig Pfund kosten, und bald waren die Dinger auch so wertvoll, dass sie in Testamenten genannt und weitervererbt wurden. Je üppiger die Perücke — die wig —, desto höher stand ihr Träger auf der sozialen Stufenleiter — und wurde zum bigwig, zum hohen Tier. Auch bei Überfällen gehörten die Perücken mit zum Ersten, was Räuber erbeuteten. Aber wie lächerlich der überdimensionale Kopfschmuck oft war, entging vor allem den Komödienschreibern nicht. Vanbrugh ließ in Der Rückfall, Oder die gefährdete Tugend eine seiner Figuren, einen Perückenmacher, eine Perücke preisen, die »so lang und voller Haar ist, dass sie Euch bei jeglichem Wetter als Hut und Umhang dienen kann«.
    Alle Perücken waren kratzig, unbequem und heiß, besonders im Sommer. Um sie erträglicher zu machen, rasierten sich viele Männer die Köpfe. Wir wären also überrascht, wenn wir viele berühmte Herren aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert so sähen, wie ihre Gattinnen sie morgens als Erstes erblickten. Es war schon ein wenig bizarr: Eineinhalb Jahrhunderte lang ließen Männer ihr eigenes, ihnen doch vollkommen angenehmes Haar abscheren und bedeckten ihre Köpfe mit etwas Fremdem, recht Unangenehmem. Oft ließen sie sogar ihr eigenes Haar zu einer Perücke verarbeiten. Leute, die sich keine Perücke leisten konnten, bemühten sich wiederum, ihre Frisur wie eine Perücke aussehen zu lassen.
    Die künstlichen Haargebilde waren sehr pflegeintensiv. Einmal in der Woche musste man sie wegschicken, damit ihre Locken auf erhitzten Wicklern oder sogar im Ofen neu gelegt wurden. Von etwa 1700 an, aus Gründen, die weder etwas mit gesundem Menschenverstand noch mit Praktikabilität zu tun gehabt haben können, wurde es Mode, jeden Tag einen Schwall weißen Puders auf seinen Kopf niederrieseln zu lassen. Das gebräuchlichste Mittel war gewöhnliches Haushaltsmehl. Als die Weizenernten in Frankreich in den 1770er Jahren mehrfach

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