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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Vermont fast die Hälfte seiner Bevölkerung. In Europa war es ähnlich. »Die britische Landwirtschaft brach in den letzten dreißig Jahren des neunzehnten Jahrhunderts förmlich zusammen«, sagt Felipe Fernández-Armesto, und mit ihr verschwand alles, was dazugehörte: Landarbeiter, Dörfer, Dorfkirchen und Dorfpfarren, der Landadel. Zum Schluss gingen unser Pfarrhaus und Tausende andere in Privathand über.
    Bei einem Besuch in Neuengland im Herbst 2007 bin ich von Boston zum Lake Wenham gefahren, um mir den See anzuschauen, der für kurze Zeit einmal weltberühmt war. Heute liegt er an einem ruhigen Highway in reizvoller Landschaft etwas mehr als zwanzig Kilometer nördlich von Boston, und besonders auf der Fahrt von Wenham nach Ipswich hat man einen malerischen Blick auf ihn. Er dient Boston als Wasserreservoir, ist von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben und für die Öffentlichkeit gesperrt. Eine Plakette an der Straße weist auf die Feier des dreihundertjährigen Bestehens der Stadt Wenham im Jahre 1935 hin, aber vom Eishandel, der sie einmal berühmt gemacht hat, ist keine Rede.
    Wenn wir 1851 die Küche des Pfarrhauses betreten hätten, wären uns sofort sehr viele Unterschiede zu heute aufgefallen. Zum einen gab es damals noch kein Spülbecken. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren Küchen (zumindest in bürgerlichen Häusern) nur zum Kochen da; der Abwasch wurde in einer separaten Spülküche erledigt (die wir im nächsten Kapitel besuchen werden). Was bedeutete, dass man jeden Teller und jeden Topf über den Flur tragen musste, wo er geschrubbt, abgetrocknet und weggestellt oder zu erneutem Gebrauch wieder in die Küche geschleppt werden musste. Und das hieß viel Hin- und Herlaufen, denn die Viktorianer kochten viel, und zwar immer eine beeindruckende Anzahl von Gängen.
    Das populäre Buch einer Lady Maria Clutterbuck (in Wirklichkeit Mrs. Charles Dickens) aus dem Jahre 1851 bietet einen guten Einblick in die damaligen Kochgewohnheiten. Der Menüvorschlag für ein Abendessen mit sechs Personen lautete »Karottensuppe, Steinbutt in Garnelensauce, Hummerpastetchen, geschmorte Nierchen, Lammrücken, gekochter Truthahn, Schweinshaxe, Kartoffelbrei und Bratkartoffeln, gedünstete Zwiebeln, cabinet pudding (ein heiß und mit Fruchtsoße servierter Brot- oder Kuchenpudding mit kandierten Früchten, Rosinen und Korinthen), Flammeri mit Sahne und Makkaroni«. Für eine solche Mahlzeit waren, hat man ausgerechnet, bis zu 450 Teile in Gebrauch, die hinterher natürlich auch abgewaschen werden mussten. Die Schwingtür von der Küche zur Spülküche stand bestimmt nie still.
    Wäre man in die Küche gekommen, als Miss Worm und ihre Helferin, ein neunzehnjähriges Mädchen aus dem Dorf namens Martha Seely, darin buken und kochten, taten sie wahrscheinlich etwas, das bis kurz zuvor überhaupt noch nicht üblich gewesen war — sie maßen sorgfältig die Zutaten ab. Bis fast zur Jahrhundertmitte waren die Anweisungen in einem Kochbuch immer herrlich unpräzise: »etwas Mehl« oder »genug Milch«. Ein Ende bereitete all dem das geradezu revolutionäre Buch einer schüchternen und nach allem, was man hörte, liebenswürdigen Dichterin in Kent namens Eliza Acton. Weil sich ihre Gedichte nicht verkauften, schlug ihr Verleger mit sanftem Nachdruck vor, sie solle sich doch an etwas Einträglicherem versuchen, und da schrieb Miss Acton 1845 Modernes Kochen in Privathaushalten. Es war das erste Kochbuch, das genaue Mengenangaben und Kochzeiten nannte, und es wurde das Werk, nach dessen Vorbild seitdem alle Kochbücher, meist gar nicht wissentlich, verfasst worden sind.
    Es erfreute sich beträchtlichen Erfolges, wurde dann aber jäh von einem keckeren Werk verdrängt, dem merkwürdigerweise viel einflussreicheren Buch der Haushaltsführung von Isabella Beeton, das jahrezehntelang auf den Hitlisten blieb. Ein solches Buch hatte es vorher noch nie gegeben. Es wurde schlagartig zum Erfolg und sollte es bis weit ins folgende Jahrhundert bleiben.
    Von der ersten Zeile an ließ Mrs. Beeton keinerlei Zweifel daran, dass Haushaltsführung ein todernstes, freudloses Geschäft war. »Die Herrin eines Hauses ist vergleichbar einem Befehlshaber beim Militär oder dem Leiter eines Unternehmens«, erklärte sie und würdigte zuvörderst ihren eigenen selbstlos heroischen Einsatz: »Ich muss freimütig gestehen, dass ich nie so kühn gewesen wäre, dieses Buch auch nur zu beginnen, wenn ich vorher gewusst hätte, dass es mich eine

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