Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
ohne sich aber irgendwo großartig auszuzeichnen. Als man ihn nach Frankreich schickte, wurde er, kaum dass er den Fuß an Land gesetzt hatte, als Spion verhaftet und verbrachte fast fünf Jahre im Gefängnis, wenn auch, wie es einem Gentleman gebührte, in einigem Komfort.
Doch hinter Gittern wurde er wohl zu etwas ganz anderem beflügelt. Denn nach seiner Rückkehr nach England mauserte er sich mit bemerkenswerter Schnelligkeit zu einem gefeierten Theaterschriftsteller und schrieb rasch hintereinander zwei der beliebtesten Komödien seiner Zeit, Der Rückfall oder die gefährdete Tugend und Die zornige Gattin. Mit ihren Figuren wie Fondlewife (Fummelgattin), Lord Foppington (Graf Gecksheim), Sir Tunbelly Clumsey (Herr Fassbauch Tollpatsch) und Sir John Brute (Herr Hans Rohling) wirken sie heute ein wenig plump, doch in diesem parfümierten Zeitalter der Übertreibung waren sie der Gipfel an Komik. Und sehr gewagt. Ein empörtes Mitglied der Gesellschaft zur Besserung der Sitten sagte, Vanbrugh »habe die Bühne noch über die Liederlichkeit alles bisher Dagewesenen hinaus sittlich verdorben«. Andere Leute liebten seine Stücke eben deshalb. Der Dichter Samuel Rogers hielt ihn für »fast das größte Genie, das je gelebt hat«.
Im Ganzen schrieb oder bearbeitete Vanbrugh zehn Werke für die Bühne, doch gleichzeitig erprobte er — nicht weniger verblüffend und urplötzlich — seine Talente in der Architektur. Was ihn dazu antrieb, ist uns heute noch ebenso ein Rätsel wie seinen Zeitgenossen. Man weiß nur, dass er im Alter von fünfunddreißig mit dem Entwurf eines der großartigsten Häuser begann, die je in England gebaut wurden: Castle Howard inYorkshire. Doch wie er seinen Freund Charles Howard, den dritten Grafen von Carlisle laut einem Architekturhistoriker »ziemlich langweilig, aber offenbar unverschämt reich« — dazu brachte, ein solches, eigentlich hirnrissiges Vorhaben abzusegnen, liegt nicht weniger im Dunklen. Denn hier ging es nicht nur um ein großes Haus, sondern eines, das eindeutig und entschieden ein Palast war und in einem Maßstab gebaut werden sollte, der »bisher das Vorrecht der Könige gewesen war«, wie Vanbrughs Biograf Kerry Downes sagt. Irgendetwas muss Carlisle in Vanbrughs groben Skizzen angesprochen haben. Der aber hatte, muss man fairerweise zugeben, einen richtigen, fraglos begabten Architekten, Nicholas Hawksmoor, in der Hinterhand, der über zwanzig Jahre Berufserfahrung verfügte, doch merkwürdigerweise mit der Rolle als Vanbrughs Assistent zufrieden war. Allem Anschein nach arbeitete Vanbrugh umsonst. (Dafür, dass Geld den Besitzer wechselte, gibt es jedenfalls keine Anhaltspunkte — und hier standen sich Männer gegenüber, die über so etwas Buch führten.) Wie dem auch sei, Carlisle entließ William Talman, den hervorragenden Architekten, mit dem er eigentlich arbeiten wollte, und gab dem Neuling Vanbrugh freie Hand.
Vanbrugh und Carlisle waren beide Mitglieder im Kit-CatClub, einer Geheimgesellschaft mit Whig-Neigungen, die mehr oder weniger nur zu dem Behufe gegründet worden war, dass die Thronfolge auf die Hannoverianer überging. Der dynastische Wechsel sorgte dafür, dass alle künftigen britischen Monarchen protestantisch, wenn auch nicht merklich britisch waren.
Dass die Kit-Cats ihr Vorhaben durchsetzten, war keine geringe Leistung, denn ihr Kandidat, George I., sprach kein Englisch, war bar jeglicher netten Eigenschaften und nach einer anderen Zählung erst der Achtundfünfzigste in der Thronfolge. Außer bei diesem einen politischen Manöver wirkte der Club so diskret, dass man fast nichts über seine Aktivitäten weiß. Eines seiner Gründungsmitglieder war ein Pastetenbäcker namens Christopher (»Kit«) Cat. Kit-Cat hießen auch seine berühmten Hammelpasteten. Ob also der Club nach ihm oder seinen Pasteten benannt wurde, ist seit drei Jahrhunderten Gegenstand angeregter Debatten in gewissen eher kleinen Kreisen. Der Club bestand nur von ungefähr 1696 bis 1720 — nichts Genaues weiß man auch dazu nicht — und hatte wahrscheinlich nie mehr als fünfzig Mitglieder, von denen zwei Drittel Peers mit erblichem Sitz im Oberhaus waren. Fünf — die Lords Carlisle, Halifax, Scarborough und die Herzöge von Manchester und die von Marlborough — ließen Vanbrugh für sich arbeiten. Mitglieder waren auch der Premierminister Robert Walpole (Vater des genannten Horace), die Schriftsteller und Journalisten Joseph Addison und Richard Steele sowie der
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