Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Erde.
fähr 680 Gramm Wolle; die um- und umgearbeiteten Exemplare aus dem achtzehnten Jahrhundert gaben über viertausend Gramm. Unter dem hübschen Wollflies wurden sie zudem erfreulich moppeliger. Zwischen 1700 und 1800 verdoppelte sich das Durchschnittsgewicht eines auf dem Londoner Smithfield Market verkauften Schafes, und zwar von ca. 17 Kilo auf ca. 36. Rindvieh wurde ähnlich voluminöser, ebenso die Erträge in der Milchwirtschaft.
Doch all das hatte seinen Preis. Damit die neuen Verfahren rentabel wurden, musste man die kleinen Felder zu größeren zusammenlegen und deshalb — die Bauern vom Land vertreiben. Durch die sogenannte Einhegung, mittels derer kleine Felder, die bisher viele Menschen ernährt hatten, in viel größere eingezäunte Felder verwandelt wurden, die nun wenige Menschen reich machten, wurde die Landwirtschaft für Leute mit großem Landbesitz immens lukrativ, und bald war das in vielen Gegenden auch die einzige Art von Landbesitz. Eingehegt hatte man Land hier und da schon seit Jahrhunderten, vor allem für die Schafzucht, doch zwischen 1750 und 1830 beschleunigte sich der Prozess, und sechs Millionen Morgen britischer landwirtschaftlicher Nutzfläche wechselten den Besitzer. Für die betroffenen Bauern war es schlimm, aber siehe da! — sie und ihre Nachkommen konnten in die Städte ziehen und die werktätigen Massen für die neue Industrielle Revolution stellen, die auch gerade begann und zu einem sehr großen Teil von dem überschüssigen Reichtum der immer reicher werdenden Landbesitzer angeschoben wurde.
Diese entdeckten außerdem zur gleichen Zeit, dass sie auf großen Kohleflözen saßen, was hervorragend getimt war, weil man für die sich entwickelnde Industrie jede Menge Kohle brauchte. Der Schönheit der Landschaft war die Förderung des schwarzen Goldes nicht förderlich — von Chatsworth House aus konnte man im achtzehnten Jahrhundert angeblich einmal fünfundachtzig Gruben sehen —, aber sie brachte ordentlich Geld in die Kasse.
Andere Landbesitzer machten Zusatzprofite, indem sie Land an Eisenbahngesellschaften verpachteten oder Kanäle bauten und Wegezölle erhoben. Der Herzog von Bridgewater strich von einem Kanalmonopol eine jährliche Rendite von vierzig Prozent ein — und viel besser wird eine Rendite wohl kaum. Das Ganze passierte übrigens in einem Zeitalter, in dem es keine Einkommensteuer gab, keine Kapitalertragsteuer, keine Steuern auf Dividendenzahlungen oder Zinsen, kurzum, fast nichts, das das reibungslose Anhäufen von Geld störte. Menschen wurden in eine Welt geboren, in der sie buchstäblich nichts anderes mit ihrem Reichtum machen mussten, als ihn zu bunkern. Um einen von vielen herauszugreifen: Der dritte Graf von Burlington besaß riesige Ländereien in Irland, insgesamt etwa 42 000 Morgen, besuchte die grüne Insel aber nie. Auch nicht, als er zum Lord Schatzkanzler von Irland ernannt wurde.
Diese immer reicher werdende Oberschicht und ihre Nachkommen stellten die britische Landschaft mit massiven, riesigen Zeugnissen ihrer neuen joie de richesse voll. Zwischen 1710 und 1800 wurden in England laut einer Untersuchung mindestens 840 große Landhäuser gebaut und (mit den blumigen Worten Horace Walpoles) »verteilt wie herrliche Pflaumen in einem riesigen Pudding von Land«.
Außergewöhnliche Häuser müssen von außergewöhnlichen Leuten entworfen und gebaut werden, und vielleicht hat das niemand so außergewöhnlich — und unerwartet — wie Sir John Vanbrugh getan. Vanbrugh (1664-1726) kam aus einer großen, begüterten Familie holländischer Abstammung. Als er als eines von neunzehn Kindern geboren wurde, war sie aber schon seit einem knappen halben Jahrhundert in England ansässig. Er war, mit den Worten des Dichters Nicholas Rowe, »ein äußerst liebenswürdiger Gentleman und angenehm« und offenbar bei allen beliebt, die mit ihm zu tun hatten (außer bei der Herzogin von Marlborough, doch davon später). Auf einem Gemälde von Sir Godfrey Kneller in der National Portrait Gallery in London sieht man ihn im Alter von ungefähr vierzig mit einem rosigen, gutgenährten, eher nichtssagenden Gesicht, das von einer üppig-barocken Perücke eingerahmt, ja, fast erdrückt wird.
In den ersten drei Jahrzehnten seines Lebens war er ein wenig orientierungslos. Er arbeitete in einem Weingeschäft der Familie, ging als Agent der damals noch recht neuen, wenig bedeutenden Ostindiengesellschaft nach Indien und verdingte sich schließlich als Soldat,
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