Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
waren Pepys' Tagebücher angeblich noch unbekannt. Sie standen zwar in der Bodleian Library in Oxford, und man konnte sie einsehen, aber das hatte noch niemand getan — glaubte man —, weil sie in einer Kurzschrift verfasst waren, die erst entziffert werden musste. Wie Macpherson die betreffende Passage in sechs Bänden dicht in Geheimschrift beschriebener Seiten gefunden und übertragen hat, ganz zu schweigen davon, wie er darauf gekommen ist, überhaupt dort nachzuschauen, bleibt jedenfalls ein Geheimnis, das wahrscheinlich nie gelüftet werden wird.
Zufällig sah ein Gelehrter in Oxford, Reverend George Neville, Master am Magdalen College, dass sich Macpherson eher en passant aus Pepys' Tagebüchern bedient hatte, und wurde neugierig darauf, was sonst noch alles drinstand. Schließlich hatte Pepys in aufregenden Zeiten gelebt — während der Herrschaft Cromwells und der Wiederherstellung der Monarchie, der letzten großen Pest, dem Großen Brand von London 1666 —, da musste ihr Inhalt interessant sein. Neville beauftragte einen klugen, aber bettelarmen Studenten namens John Smith damit, den Code zu knacken und die Tagebücher zu transkribieren. Dafür brauchte Smith drei Jahre. Ergebnis waren natürlich die berühmtesten Tagebücher in englischer Sprache. Hätte Pepys nicht die Tasse Tee getrunken und es notiert, hätte Macpherson das nicht in einem drögen Geschichtsbuch erwähnt, wäre Neville weniger neugierig und der junge Smith weniger intelligent und stur gewesen, würde der Name Samuel Pepys außer Marinehistorikern niemandem mehr etwas sagen, und einen erheblichen Teil dessen, was wir über das Leben der Menschen in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts wissen, wüssten wir eben nicht. Wie gut, dass Pepys den Tee getrunken hat.
Normalerweise trank er nämlich, wie die meisten Leute seiner Herkunft und Zeit, Kaffee, obwohl auch Kaffee 1660 immer noch relativ neu war. Zwar kannten ihn die Briten seit ein paar Jahrzehnten, aber hauptsächlich als merkwürdiges, dunkles Getränk, dem man nur im Ausland begegnete. Ein Reisender namens George Sandys beschrieb Kaffee 1610 ein wenig verbiestert als »schwarz wie Ruß und schmeckt auch nicht sehr anders«.
Das Verdienst, den Kaffee in England populär gemacht zu haben, gebührt einem Mann namens Pasqua Rosé, auf Sizilien gebürtig, aber von der Herkunft Grieche, der als Diener für Daniel Edwards arbeitete, einen britischen Händler in Smyrna, jetzt Izmir in der Türkei. Nachdem Rosé mit Edwards nach England gezogen war, servierte er dessen Gästen Kaffee, und die waren so angetan, dass er all seinen Mut zusammennahm und in London ein Café — das erste in der Stadt — eröffnete: 1652 in einem Schuppen auf dem Kirchhof von St. Michael Cornhill in der Londoner City. Rosé pries den Kaffee wegen seiner wohltätigen Wirkung auf die Gesundheit an, er beuge Kopfschmerzen, »Ausflüssen aus Nase und Augen«, Winden, Gicht, Skorbut, Fehlgeburten, entzündeten Augen und vielem anderen vor oder heile es.
Rosé verdiente sehr gut mit seinem Café, doch seine Herrschaft als Erster Kaffeekocher der Nation währte nicht lange. Irgendwann nach 1656 musste er das Land »wegen eines Fehlverhaltens« verlassen, das in den Akten leider nicht genauer benannt wird. Man weiß nur, dass er plötzlich entschwand und nie wieder von ihm gehört ward. Andere traten schnell an seine Stelle. Im Jahr des Großen Feuers, 1666, gab es mehr als achtzig Kaffeehäuser in London, und sie waren zum zentralen Bestandteil des o .ebens in der Stadt geworden.
Der Kaffee, der in den Kaffeehäusern serviert wurde, war nicht unbedingt sehr gut. Wegen der Art der Besteuerung in Großbritannien (nämlich pro Gallone) braute man ihn in großen Mengen, lagerte ihn kalt in Fässern und erhitzte ihn zum Servieren in kleinen Portionen. Der Reiz des Kaffees lag in England weniger darin, wie er schmeckte, als vielmehr darin, dass er sozial etwas Neues brachte. Die Leute gingen in Kaffeehäuser, um andere mit gemeinsamen Interessen zu treffen, zu klatschen, die neuesten Journale und Zeitungen zu lesen und für ihr Leben und ihr Geschäft wertvolle Informationen auszutauschen.Wenn die Leute wissen wollten, was in der Welt los war, gingen sie ins Kaffeehaus. Ja, sie begannen sogar, die Kaffeehäuser wie Büros zu benutzen — ganz berühmt dafür ist das Lloyd's Coffee House in der Lombard Street in London, das sich allmählich zu Lloyd's, nämlich dem Ort entwickelte, an dem
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