Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
als Mohawk-Indianer verkleidet, an Bord mehrerer britischer Schiffe im Hafen von Boston, brach 342 Teekisten auf und warf den Inhalt über Bord. Das klingt nach einem eher moderaten Fall von Vandalismus. In Wirklichkeit war es die Teelieferung für ein Jahr für die Stadt Boston, und die hatte einen Wert von 18 000 Pfund Sterling. Den Tee ins Meer zu kippen war ein Kapitalverbrechen, und das wussten auch alle, die daran teilnahmen. Damals nannte es übrigens keiner die Boston Tea Party, der Name wurde erst 1834 zum ersten Mal gebraucht. Die Leute verhielten sich auch keineswegs partymäßig fröhlich und ausgelassen, wie wir US-Amerikaner immer gern meinen, sondern die Stimmung war mörderisch aggressiv. Am allerschlimmsten traf es dabei einen britischen Zollbeamten namens John Malcolm. Erst kurz zuvor hatte man ihn aus einem Haus in Maine verschleppt und geteert und gefedert, eine äußerst schmerzhafte Prozedur, da einem heißer Teer auf die nackte Haut geschmiert wurde, obendrein meist mit kräftigen Bürsten, was den Schmerz nicht gerade stillte. Es ist sogar ein Fall bekannt, bei dem das Opfer an den Knöcheln gehalten und kopfüber in ein Teerfass getaucht wurde. Auf die Teerschicht warf man Hände voll Federn und führte den so Gefederten durch die Straßen, wobei man ihn oft noch schlug oder sogar hängte. Teeren und Federn war also keineswegs lustig, und wir können uns Malcolms Bestürzung vielleicht vorstellen, als er, sich windend, ein zweites Mal aus seinem Haus gezerrt wurde und noch einmal das sogenannte »Yankee jacket« verpasst bekam. Wenn es getrocknet war, musste man tagelang zupfen und schrubben, um die Federn und den Teer abzukriegen. Malcolm schickte ein Stückchen schwarz verkohlter Epidermis nach England und fragte in einem beigelegten Brief, ob er bitte heimkommen dürfe. Seinem Wunsch wurde entsprochen. Aber mittlerweile waren Amerika und sein Mutterland unwiderruflich auf dem Weg in den Krieg. Fünfzehn Monate später fielen die ersten Schüsse. Wie ein Reimeschmied der Zeit notierte:
Welch Wut, welch unheilvolle Glut folgt aus banalen Sachen.
Ein bisschen Tee plumpst in die See, schon fließt das Blut in Lachen.
Nachdem Großbritannien seine amerikanischen Kolonien verloren hatte, sah es sich bald weiteren ernsten Problemen mit dem Tee konfrontiert, die aber gänzlich anderer Natur waren. Ab 1800 war der Tee als Nationalgetränk tief im Lebensgefühl der Briten verankert, und die Importe stiegen auf über zehn Millionen Kilo im Jahr. Praktisch alle kamen sie aus China. Daraus folgte ein heftiges, chronisches Handelsungleichgewicht, das die Briten zu vermindern suchten, indem sie den Chinesen in Indien gewonnenes Opium andrehten. Der Opiumhandel wurde im neunzehnten Jahrhundert ein Bombengeschäft, nicht nur in China. Auch die Menschen in Großbritannien und Amerika, besonders die Frauen, nahmen große Mengen Opium zu sich, meist in Form von schmerzstillenden Medikamenten und Laudanum. Die Einfuhren der Droge in die Vereinigten Staaten stiegen von etwa 11 000 Kilo im Jahre 1840 auf nicht weniger als 175 000 Kilo im Jahre 1872, und es waren, wie gesagt, mehrheitlich die Frauen, die es schluckten, doch es wurde auch gern und viel Kindern zur Behandlung von Diphterie gegeben. Franklin Delano Roosevelts Großvater Warren Delano verdiente einen großen Batzen des Familienvermögens mit Opium, was Roosevelts Familie natürlich nie an die große Glocke gehängt hat.
Zum nicht enden wollenden Ärger der chinesischen Obrigkeit waren die Briten besonders gewieft darin, die Bürger im Reich der Mitte zu Opiumsüchtigen zu machen — Uniseminare über Marketing sollten mit dem britischen Opiumhandel beginnen! Großbritannien verkaufte nach einer Statistik von 1838 jährlich fast zweieinhalb Millionen Kilo von dem Zeug an China. Leider war das immer noch nicht genug, um die enormen Kosten für den Teeimport aus China auszugleichen. Da lag es auf der Hand, Tee in warmen Gefilden des expandierenden Britischen Empire anzupflanzen. Dem entgegen stand nur, dass die Chinesen den komplizierten Prozess, wie man Teeblätter in ein erfrischendes Getränk verwandelt, immer hübsch geheim gehalten hatten und außerhalb Chinas niemand wusste, wie man eine solche Produktion in Gang bringen konnte. Auf tritt ein toller Schotte namens Robert Fortune.
Drei Jahre reiste er, als Einheimischer verkleidet, in den 1840er Jahren durch China und sammelte Informationen zu Anbau und Verarbeitung von Tee. Das war riskant:
Weitere Kostenlose Bücher