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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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wenige Widder zur Zucht auswählen und die übrigen kastrieren, aber er hatte keinen Einfluss darauf, dass ein Schaf ein gesundes Lamm zur Welt brachte und die Herde von Krankheiten verschont blieb. Wie konnte er die Fruchtbarkeit seiner Herde sicherstellen?
    Auf der Suche nach einer Lösung wandten sich mehr und mehr Bauern an die Götter. Als die Pflanzen und Tiere das Sprechen verlernten, betraten die Fruchtbarkeitsgöttin, der Himmelsgott und der Gott der Medizin die Bühne, um zwischen den Menschen und den nun stummen Tieren und Pflanzen zu vermitteln. Die antiken Religionen sind oft nichts anderes als ein Vertrag, in dem die Menschen den Göttern Anbetung versprechen, wenn sie sich im Gegenzug die Erde untertan machen dürfen – die ersten Kapitel des Alten Testaments sind ein hervorragendes Beispiel dafür. Nach der landwirtschaftlichen Revolution bestanden religiöse Zeremonien vor allem darin, den Göttern Lämmer, Wein und Gebäck zu opfern, um im Gegenzug reiche Ernten und fruchtbare Herden zu erhalten.
    Die landwirtschaftliche Revolution hatte zunächst kaum Konsequenzen für die anderen Angehörigen des animistischen Systems, zum Beispiel Felsen, Quellen, Geister und Dämonen. Allmählich verloren aber auch diese gegenüber den neuen Göttern an Boden. So lange die Menschen ihr Leben lang in einem kleinen Territorium von einigen Hundert Quadratkilometern lebten, reichten die örtlichen Geister völlig aus, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Doch mit der Entstehung von Weltreichen und Handelsnetzen mussten die Menschen mit Kräften kommunizieren, deren Macht weit über ihr Heimattal hinausreichte.
    Um dieses Bedürfnis zu befriedigen, wurden polytheistische Religionen geschaffen. Diese Religionen glaubten, die Welt werde von mächtigen Gottheiten beherrscht, zum Beispiel Fruchtbarkeits-, Regen- und Kriegsgottheiten. Diese konnten die Menschen um Hilfe bitten, und wenn den Göttern die Opfer gefielen, ließen sie sich herab, den Menschen Fruchtbarkeit, Regen und Siege zu bringen.
    Mit dem Aufkommen des Polytheismus verschwanden die animistischen Religionen noch nicht sofort. Dämonen, Feen, Geister, heilige Steine und Bäume gehörten nach wie vor zum Personal polytheistischer Religionen. Zwar verloren diese Geister gegenüber den Göttern an Bedeutung, doch im Alltag der Menschen reichten sie meist aus. Während der König in seinem Palast dem Kriegsgott ein Dutzend fetter Hammel opferte, um einen Feldzug zu gewinnen, zündete der Bauer in seiner Hütte eine Kerze an, um die Fee des Feigenbaums um Gesundheit für seinen Sohn zu bitten.
    Doch so sehr sich der Aufstieg der Götter auf das Leben der Schafe und Dämonen auswirkte, die größten Konsequenzen hatte er für den Status des Homo sapiens selbst. Für Animisten war der Mensch nur eines von vielen Lebewesen, die auf der Erde lebten. Polytheisten sahen die Welt dagegen zunehmend als Spiegelbild der Beziehung zwischen Göttern und Menschen. Unsere Gebete und Opfer, unsere Sünden und guten Taten beeinflussten das Schicksal des gesamten Ökosystems. Nur weil ein paar Menschen eine Dummheit begingen und die Götter verärgerten, könnte eine schreckliche Flut Milliarden von Ameisen, Grashüpfern, Schildkröten, Antilopen, Giraffen und Elefanten auslöschen. Der Polytheismus hob also nicht nur die Götter auf den Thron, sondern auch den Menschen. Weniger gesegnete Angehörige der alten animistischen Kulturen verloren dagegen ihren Status und verwandelten sich in sprachlose Statisten. Sie wurden zur Kulisse im großen Drama von Menschen und Göttern.
    Was der Götzendienst bringt
    Nach zwei Jahrtausenden der Hirnwäsche durch die monotheistischen Religionen halten die meisten Menschen im Westen die Vielgötterei für dummen und kindischen Aberglauben. Das ist jedoch ein sehr ungerechtes Vorurteil. Um der inneren Logik des Polytheismus auf die Spur zu kommen, müssen wir die Logik hinter dem vermeintlichen Götzendienst verstehen.
    Der Polytheismus bestreitet gar nicht unbedingt, dass es ein einziges Gesetz oder eine einzige Macht gibt, die das gesamte Universum beherrscht. Im Gegenteil, die meisten polytheistischen und selbst animistische Religionen erkennen, dass hinter den verschiedenen Göttern, Dämonen und heiligen Steinen eine größere Macht steht. Im Polytheismus der klassischen griechischen Antike sind auch Zeus, Hera, Apollo und ihre göttlichen Kollegen einer allmächtigen und allumfassenden Macht unterworfen: den Moiren, wie die

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