Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
nicht verdauten. Das Judentum behauptet beispielsweise, dass sich die höchste Macht des Universums für irdische Belange interessiere, doch diese Belange beschränkten sich auf das kleine Volk der Juden und den schmalen Landstrich Israel. Den Angehörigen anderer Völker hat die jüdische Religion nichts zu bieten, weshalb ihre Anhänger auch niemanden bekehren wollen. Diese Phase könnte man als »regionalen Monotheismus« bezeichnen.
Der Durchbruch kam erst mit dem Christentum. Diese Religion begann ihre Laufbahn als esoterische jüdische Sekte, deren Anhänger die Juden davon überzeugen wollten, dass ihr Prophet Jesus von Nazareth ein lange erwarteter Erlöser namens »Messias« war. Doch einer der ersten Sektenführer, ein gewisser Paulus von Tarsus, erklärte, wenn sich die höchste Macht des Universums schon die Mühe machte, menschliche Gestalt anzunehmen und sich zur Erlösung der Menschheit ans Kreuz schlagen zu lassen, dann sei das doch etwas, das alle Menschen angehe, nicht nur die Juden. Daraus folgerte er, dass die Christen den Glauben an Jesus und seinen Vater in aller Welt verbreiten mussten.
Seine Worte fielen auf fruchtbaren Grund. Die Christen spezialisierten sich auf die Missionierung der gesamten Menschheit. In einer der erstaunlichsten Wendungen der Menschheitsgeschichte gelang es dieser kleinen jüdischen Sekte, die Herrschaft über das mächtige Römische Weltreich zu erlangen.
Der Erfolg der Christen wurde zum Vorbild für eine andere monotheistische Religion, die im 7. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel aufkam: den Islam. Wie das Christentum begann der Islam als eine kleine Sekte in einem abgelegenen Winkel der Welt, aber in einer noch erstaunlicheren Wende ließ diese Sekte innerhalb kürzester Zeit die arabische Wüste hinter sich und eroberte ein Weltreich, das vom Atlantik bis zum Indischen Ozean reichte. Seither gehören monotheistische Religionen zu den Protagonisten der Weltgeschichte.
Karte 4. Die Ausbreitung von Christentum und Islam
Monotheisten sind in der Regel sehr viel fanatischer als Polytheisten und legen einen gewaltigen missionarischen Eifer an den Tag. Wenn eine Religion andere Religionen neben sich dulden würde, dann würde das entweder bedeuten, dass ihr Gott nicht das mächtigste Wesen des Universums ist, oder dass dieser Gott ihr einen Teil der universellen Wahrheit vorenthalten hat. Da Monotheisten überzeugt sind, dass sie die vollständige Botschaft des einen wahren Gottes erhalten haben, fühlten sie sich genötigt, allen anderen Religionen die Existenzberechtigung abzusprechen. Im Laufe der letzten zwei Jahrtausende haben monotheistische Religionen daher alles getan, um ihre Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.
Damit waren sie sehr erfolgreich. Zu Beginn des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung gab es kaum Monotheisten. Um das Jahr 500 war mit dem Römischen Reich eines der größten Staatswesen der Welt zum christlichen Glauben bekehrt, und Missionare trugen das Kreuz in alle Himmelsrichtungen. Um das Jahr 1000 waren die meisten Menschen in Europa, Westasien und Nordafrika Monotheisten, und vom Atlantik bis zum Himalaja legitimierten sich mehrere Riesenreiche mit Verweis auf die Existenz eines einzigen, allmächtigen Gottes. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts beherrschten monotheistische Religionen den größten Teil Afrikas und Eurasiens, mit Ausnahme Ostasiens und des südlichen Afrikas, und sie begannen, ihre Tentakel nach Südafrika, Amerika und Ozeanien auszustrecken. Heute sind mit Ausnahme der Ostasiaten die meisten Menschen Anhänger der einen oder anderen monotheistischen Religion und die weltpolitische Ordnung steht fest auf monotheistischen Füßen.
Aber genau wie der Animismus im Polytheismus überlebte, überlebte der Polytheismus im Monotheismus. Eigentlich müsste man annehmen, dass ein Mensch, der zur höchsten Macht des Universums betet, keinen Grund mehr hat, weniger mächtige Götter um Hilfe anzurufen. Wer würde sich an einen kleinen Beamten wenden, wenn die Tür zum Büro der Kanzlerin offensteht? Tatsächlich leugnen monotheistische Religionen, dass es neben dem allmächtigen Gott noch andere Götter geben könnte, und verdammen alle dazu, im ewigen Höllenfeuer zu schmoren, die es wagen, sie anzurufen.
Zwischen den Theorien der Theologen und der Wirklichkeit tut sich allerdings schon immer ein tiefer Graben auf, denn den meisten Menschen fällt es schwer, den monotheistischen Gedanken bedingungslos zu schlucken. Für die
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