Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
aufgaben, sie erwarteten nur, dass sie die römischen Götter und die Göttlichkeit des Kaisers anerkannten. Erst als die Christen sich weigerten und keine Kompromisse eingehen wollten, verfolgten die Römer diese Minderheit, und auch nur, weil sie in ihr eine politische Bedrohung sahen. Doch selbst dann gingen sie eher halbherzig gegen die Rebellen vor. In den drei Jahrhunderten, die zwischen der Kreuzigung Jesu Christi und der Bekehrung von Kaiser Konstantin vergingen, befahlen die römischen Kaiser lediglich vier organisierte Christenverfolgungen. Hin und wieder führten zwar Provinzstatthalter und Gouverneure auf eigene Faust Pogrome durch. Doch wenn man sämtliche Opfer aller Christenverfolgungen zusammenrechnet, stellt man fest, dass die polytheistischen Römer in diesen drei Jahrhunderten lediglich einige Tausend Christen ermordeten. 68 Zum Vergleich: In den kommenden anderthalb Jahrtausenden schlachteten sich die Christen gegenseitig zu Millionen ab, weil sie die Lehre der Nächstenliebe in einigen Detailfragen unterschiedlich interpretierten.
Besonders berüchtigt waren die Religionskriege zwischen katholischen und protestantischen Christen, die im 16. und 17. Jahrhundert Europa in Schutt und Asche legten. Jede der beiden Seiten glaubte an Jesus und seine Botschaft der Liebe. Doch sie konnten sich nicht einigen, wie diese Liebe aussehen sollte. Die Protestanten waren der Ansicht, Gott habe die Menschen so sehr geliebt, dass er Mensch geworden sei und Folter und Tod auf sich genommen habe, um die Menschen von ihrer Erbschuld zu erlösen und den Gläubigen das Tor zum Himmelreich aufzustoßen. Die Katholiken stimmten dem völlig zu, doch ihrer Ansicht nach mussten die Menschen selbst etwas dazu beitragen, um in den Himmel zu kommen: Sie mussten beichten, die Messe besuchen und gute Taten vollbringen. Die Protestanten widersprachen heftig, weil sie meinten, dieser Tauschhandel schmälere Gottes Größe und Liebe. Wer glaube, den Eintritt ins Himmelreich mit guten Taten erkaufen zu können, der mache sich nur wichtig und behaupte, Gottes Liebe sei nicht ausreichend.
Die theologische Debatte wurde mit derartigem Eifer geführt, dass sich Katholiken und Protestanten im 16. und 17. Jahrhundert zu Hunderttausenden töteten. Am 23. August 1572 überfielen französische Katholiken, die an die guten Taten glaubten, die französischen Protestanten, die an Gottes Liebe zu den Menschen glaubten. Bei diesem Pogrom, der sogenannten Bartholomäusnacht, wurden innerhalb von 24 Stunden zwischen 5000 und 10000 Protestanten dahingemetzelt. Als der Papst die Nachricht aus Frankreich erhielt, war er derart begeistert, dass er Dankesgebete abhalten ließ und den Maler Giorgio Vasari beauftragte, einen Raum des Vatikans mit Darstellungen des Massakers auszumalen (dieser Raum ist heute für Besucher geschlossen). 69 Allein in diesen 24 Stunden töteten Christen mehr Christen als das polytheistische Römische Reich in allen Christenverfolgungen zusammen.
Der eine Gott
Die Polytheisten hatten erkannt, dass sich die höchste Macht des Universums nicht für ihre Probleme interessierte. Im Laufe der Zeit kamen die Anhänger einiger polytheistischer Religionen jedoch von dieser Erkenntnis ab und begannen zu glauben, dass diese Macht sich doch für irdische Belange interessieren könnte. Sie helfe den einen und bestrafe die anderen. Bestimmte Handlungen erfreuten und andere verärgerten sie. Manche Orte und Zeiten seien ihr heilig, andere missfielen ihr. So entstanden allmählich die sogenannten monotheistischen Religionen (vom Griechischen mono für »eins« und theos für »Gott«). Ihre Anhänger wandten sich an die oberste Macht des Universums, um von Krankheiten zu genesen, im Lotto zu gewinnen oder im Krieg den Sieg davonzutragen.
Die erste bekannte monotheistische Religion betrat im Jahr 1350 vor unserer Zeitrechnung die Bühne, als der ägyptische Pharao Echnaton den Gott Aten, eine eher unbedeutende Gottheit im ägyptischen Götterhimmel, zum uneingeschränkten Herrscher des Universums erklärte. Echnaton erhob den Aten-Kult zur Staatsreligion und versuchte, die Kulte der anderen Götter zu unterdrücken. Seine religiöse Revolution schlug jedoch gründlich fehl: Nach Echnatons Tod wurde der Aten-Kult zugunsten der Vielgötterei wieder begraben.
Auch andere polytheistische Religionen brachten hier und da monotheistische Religionen hervor. Diese blieben jedoch eine Randerscheinung, vor allem weil sie ihre eigene Botschaft
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