Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
Vom Netzwerk:
Neue Testament berichtet, kurz vor der Kreuzigung sei eine Frau auf Jesus zugekommen und habe ihn mit einem teuren Öl gesalbt, das 300 Denarius gekostet hatte. Seine Jünger schalten die Frau, weil sie diese riesige Summe verschwendete, statt das Geld den Armen zu schenken. Doch Jesus nahm sie in Schutz und sagte: »Ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit.« (Markus 14:7) Selbst Christen würden dem heute nicht mehr zustimmen. Armut wird zunehmend als technisches Problem verstanden, das nicht allezeit bei uns sein wird. Wenn wir nur die neuesten Erkenntnisse der Agronomie, der Wirtschaftswissenschaften, der Medizin und der Soziologie anwenden, dann können wir die Armut beseitigen, so die Annahme.
    Und in der Tat ist die schlimmste Not inzwischen aus weiten Teilen der Welt verschwunden. Heute unterscheidet man zwei Arten der Armut: Die »relative Armut«, die einigen Menschen Möglichkeiten vorenthält, die andere haben, und die »absolute Armut«, die einigen Menschen das zum Überleben Notwendige vorenthält und ihre physische Existenz bedroht. Die relative Armut wird es wohl immer geben, doch in vielen Ländern der Welt gehört die absolute Armut heute der Vergangenheit an.
    Bis vor Kurzem lebten die meisten Menschen knapp über der Grenze zur absoluten Armut und schwebten dauernd in Gefahr, weniger Kalorien zu sich nehmen, als sie zum Überleben brauchten. Schon kleinere Fehlkalkulationen oder Unglücksfälle reichten aus, und die Menschen wurden Opfer von Armut und Hunger. Naturkatastrophen und Kriege stürzten oft ganze Völker in den Abgrund und forderten Millionen von Todesopfern. Heute befinden sich große Teile der Welt unter einem Schutzschirm. Versicherungen, staatliche Sozialleistungen und eine Vielzahl von nationalen und internationalen Hilfsorganisationen schützen uns vor Schicksalsschlägen. Wenn eine Region von einer Katastrophe heimgesucht wird, laufen sofort internationale Rettungsaktionen an, um die schlimmsten Folgen abzuwenden. Zwar leiden noch immer viele Menschen unter den Erniedrigungen und Krankheiten der Armut, doch in den meisten Ländern der Welt muss heute niemand mehr verhungern. Im Gegenteil, inzwischen leiden mehr Menschen unter Übergewicht als unter Hunger.
    Das Gilgamesch-Projekt
    Unter den zahlreichen Geißeln der Menschheit ragt eine ganz besondere Herausforderung heraus: der Tod. Bis vor wenigen Jahrzehnten gingen die meisten Religionen und Ideologien selbstverständlich davon aus, dass der Tod ein unabwendbares Schicksal ist. Im Gegenteil, der Tod gab dem Leben erst seinen Sinn. Versuchen Sie nur, sich den Islam, das Christentum oder die altägyptische Religion in einer Welt ohne Tod vorzustellen. Diese Religionen lehren den Menschen, sich mit dem Tod zu arrangieren, im Schatten des Todes zu leben und nicht zu versuchen, ihn zu besiegen und ewig zu leben. Die führenden Denker und Propheten verwendeten viel Energie darauf, dem Tod einen Sinn zu geben, und hatten kein Interesse daran, ihn zu überwinden.
    Das ist die zentrale Botschaft des ältesten Mythos der Menschheit, des Gilgamesch-Epos der alten Sumerer. Der Mythos erzählt die Geschichte von König Gilgamesch von Uruk, des stärksten und fähigsten Menschen der Welt, der alles besitzt und jeden Feind in der Schlacht besiegt. Eines Tages stirbt jedoch sein bester Freund Enkidu. Tagelang sitzt Gilgamesch neben dem Leichnam und starrt ihn an, bis er sieht, wie ein Wurm aus dem Nasenloch seines toten Freundes kriecht. In diesem Moment erfasst ihn die Verzweiflung und er beschließt, nie zu sterben. Er ist entschlossen, den Tod zu besiegen, koste es, was es wolle. Gilgamesch reist bis ans Ende der Welt, tötet Löwen, trifft auf Skorpionmenschen, fährt in die Unterwelt, zerschlägt die furchterregenden Steinriesen von Urschanabi und begegnet Utanapischti, dem letzten Überlebenden der Flut. Doch alle Mühen sind vergebens. Mit leeren Händen kehrt er nach Hause zurück und ist so sterblich wie eh und je. Er hat nur eines gelernt: Als die Götter den Menschen erschufen, gaben sie ihm den Tod als sein unvermeidliches Schicksal mit, und der Mensch muss lernen, damit zu leben.
    Die Apostel des Fortschritts teilen diesen Pessimismus nicht. Für Wissenschaftler ist der Tod kein unvermeidliches Schicksal, sondern lediglich ein technisches Problem. Wir sterben nicht, weil die Götter dies so beschlossen haben, sondern durch technisches Versagen –

Weitere Kostenlose Bücher