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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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Herzinfarkte, Krebs, Infektionen. Doch jedes technische Problem hat eine technische Lösung. Wenn das Herz schwächelt, können wir es mit einem Schrittmacher auf Trab bringen oder durch ein neues ersetzen. Wenn der Krebs wuchert, können wir ihn mit Bestrahlung aufhalten. Wenn sich Bakterien breitmachen, können wir sie mit Antibiotika stoppen. Noch können wir zwar nicht alle technischen Probleme lösen, aber keine Sorge, wir arbeiten daran. Unsere besten Wissenschaftler werden ihre Zeit nicht darauf verschwenden, dem Tod einen Sinn zu geben. Sie tun alles, um die physiologischen, hormonellen und genetischen Systeme zu verstehen, die für Tod und Krankheit verantwortlich sind. Sie entwickeln neue Medikamente, revolutionäre Behandlungsmethoden und künstliche Organe, mit denen sie den Sensenmann aufhalten und irgendwann ganz besiegen werden.
    Bis vor Kurzem vermieden die Wissenschaftler derart dreiste Behauptungen. »Den Tod besiegen? Das ist doch Unsinn! Wir versuchen nur, eine bessere Behandlungsmethode für Krebs, Tuberkulose und Alzheimer zu finden.« Sie mieden das Thema Tod, da das Ziel zu fern schien und es ratsam war, unsere Erwartungen nicht unnötig hochzuschrauben. Inzwischen können wir jedoch offen über das Thema reden. Das wichtigste Projekt der wissenschaftlichen Revolution ist das ewige Leben für den Menschen. Gentechnikern ist es unlängst gelungen, die Lebenserwartung von Würmern der Art Caenorhabditis elegans zu versechsfachen 80 – warum sollte das beim Homo sapiens nicht auch gelingen?
    Wie viel Zeit wird das Gilgamesch-Projekt in Anspruch nehmen? Zweihundert Jahre? Fünfhundert? Tausend? Wenn wir uns erinnern, wie wenig wir im Jahr 1900 über den menschlichen Körper wussten, und wie viel Wissen wir in einem einzigen Jahrhundert erworben haben, dann besteht durchaus Grund zum Optimismus. Ernstzunehmende Wissenschaftler mutmaßen, spätestens im Jahr 2050 könnte es die ersten nicht-sterblichen Menschen geben (also keine unsterblichen, sondern nur nicht-sterbliche Menschen, deren Leben sich immer weiter verlängern lässt, denn bei Unfällen könnten sie nach wie vor ums Leben kommen).
    Der Sieg über den Tod mag aus unserer Sicht weit in der Zukunft liegen, doch wir haben bereits andere Dinge erreicht, die vor einigen Jahrhunderten unmöglich erschienen. Im Jahr 1199 wurde König Richard Löwenherz von einem Pfeil getroffen und an der Schulter verletzt. Heute wäre dies eine »leichte Verletzung«, doch da es im Jahr 1199 noch keine Antibiotika und keine wirkungsvollen Desinfektionsmittel gab, infizierte sich die Wunde, und der Wundbrand setzte ein. Im Europa des 12. Jahrhunderts gab es nur eine Möglichkeit, den Wundbrand aufzuhalten, und das war die Amputation des betroffenen Arms oder Beins, doch das war in diesem Fall unmöglich, da es sich um die Schulter handelte. So fraß sich der Wundbrand nach und nach durch den gesamten Körper des Königs, und niemand konnte ihm helfen. Zwei Wochen später starb Richard Löwenherz unter furchtbaren Schmerzen.
    Noch im 19. Jahrhundert waren selbst die besten Ärzte nicht in der Lage, Infektionen zu behandeln und den Wundbrand aufzuhalten. In Feldlazaretten amputierten Ärzte aus Furcht vor Infektionen selbst nach kleineren Verwundungen Arme und Beine der Soldaten. Diese Amputationen und andere Operationen (zum Beispiel das Ziehen eines Zahns) wurden natürlich ohne Betäubung durchgeführt. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts kamen regelmäßig Betäubungsmittel wie Äther, Chloroform und Morphin zum Einsatz. Vor der Entdeckung des Chloroforms mussten vier Soldaten ihren verwundeten Kameraden festhalten, während der Arzt ein verletztes Bein absägte. Am Morgen nach der Schlacht von Waterloo im Jahr 1815 lagen neben dem Feldlazarett Berge von abgesägten Gliedmaßen. Die Sanitätstruppe beschäftigte oft Schreiner und Metzger, weil diese am besten mit Messern und Sägen umgehen konnten.
    Zwei Jahrhunderte nach Waterloo ist die Medizin nicht wiederzuerkennen. Mit Tabletten, Spritzen und komplizierten Operationen heilt sie Krankheiten und Verletzungen, die früher ein sicheres Todesurteil bedeutet hätten. Sie bewahrt uns außerdem vor zahllosen Gebrechen, die früher zum Alltag gehörten. Die durchschnittliche Lebenserwartung sprang von 25 bis 40 auf 67 Jahre weltweit und rund 80 Jahre in der entwickelten Welt. 81
    Bei der Kindersterblichkeit wurde der Tod am weitesten zurückgedrängt. Bis ins 20. Jahrhundert erreichte in landwirtschaftlichen

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