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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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ist, und das nur deshalb existiert, weil wir so tun, als würde es existieren. Aus diesem Grund sprechen Juristen von einer juristischen Fiktion. Das Unternehmen ist unsichtbar, es handelt sich nicht um ein physisches Objekt. Trotzdem existiert es als juristische Person. Genau wie Sie und ich muss es sich an die Gesetze der Länder halten, in denen es Fahrzeuge herstellt und verkauft. Es kann Bankkonten eröffnen und Eigentum erwerben. Es zahlt Steuern und kann verklagt werden, und zwar völlig unabhängig von den Menschen, die es besitzen oder für es arbeiten.
    Peugeot gehört zu einer bestimmten Gruppe von juristischen Fiktionen, die als »Gesellschaft mit beschränkter Haftung« bezeichnet werden. Hinter diesen Unternehmen verbirgt sich eine der originellsten Erfindungen der Menschheit. Der Homo sapiens kam ungezählte Jahrtausende lang ohne diese Konstruktion aus. Bis vor relativ kurzer Zeit konnten nur Menschen aus Fleisch und Blut Eigentum erwerben. Wenn Jean im Frankreich des 13. Jahrhunderts eine Werkstatt zum Bau von Fuhrwerken gründete, dann war er das Unternehmen. Wenn ein Fuhrwerk, das Jean gebaut hatte, eine Woche nach dem Verkauf auseinanderfiel, dann machte der verärgerte Kunde ihn höchstpersönlich dafür verantwortlich. Wenn sich Jean 1000 Goldmünzen geliehen hatte, um seine Werkstatt zu eröffnen, und nun pleiteging, dann musste er diesen Kredit zurückzahlen, indem er sein privates Eigentum verkaufte: sein Haus, seine Kuh und seinen Acker. Vielleicht musste er sogar das eine oder andere Kind in die Knechtschaft verkaufen. Und wenn er seine Schulden damit immer noch nicht begleichen konnte, dann wurde er in den Schuldturm gesteckt oder von seinen Gläubigern in die Sklaverei verkauft. Jean musste für sämtliche Verpflichtungen seiner Werkstatt haften, und zwar bis zum letzten Pfennig.
    Zu Jeans Zeiten hätten Sie es sich vermutlich reiflich überlegt, ehe Sie ein Unternehmen gegründet hätten. Tatsächlich schreckte diese rechtliche Situation viele ab, sich als Unternehmer zu betätigen. Die meisten Menschen hatten Angst, dieses wirtschaftliche Risiko auf sich zu nehmen. Die Gefahr war einfach zu groß, damit sich und ihre ganze Familie ins Elend zu stürzen.
    Daher stellten sich die Menschen kollektiv ein Unternehmen vor, das nur noch »beschränkte Haftung« übernahm. Dieses Unternehmen war rechtlich unabhängig von den Menschen, die es gründeten, leiteten oder finanzierten. In den vergangenen Jahrhunderten wurden Unternehmen dieser Art zu den wichtigsten Protagonisten der Wirtschaft, und inzwischen haben wir uns so sehr an sie gewöhnt, dass wir völlig vergessen haben, dass sie nur in unserer Phantasie existieren. Im Gesetz werden diese Unternehmen auch als »Körperschaften« bezeichnet, was eigentlich ironisch ist, denn diese Bezeichnung kommt vom Wort »Körper« und genau den haben diese Unternehmen ja gerade nicht. Trotzdem behandelt das Gesetz sie so, als handele es sich um Menschen aus Fleisch und Blut.
    Diese Unternehmen gab es auch schon im Frankreich des Jahres 1896. Damals beschloss Armand Peugeot, die elterliche Eisengießerei, in der Federn, Sägen und Fahrräder hergestellt wurden, zu einer Automobilfabrik umzubauen. Dazu gründete er eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Er taufte das Unternehmen zwar auf seinen Namen, doch es existierte unabhängig von ihm. Wenn eines seiner Autos liegen blieb, konnte der Kunde das Unternehmen Peugeot verklagen, aber nicht Armand Peugeot persönlich. Wenn das Unternehmen Peugeot Millionen von Franc aufnahm und pleiteging, dann schuldete Armand Peugeot den Gläubigern nicht einen einzigen Franc. Den Kredit hatte schließlich das Unternehmen Peugeot aufgenommen, nicht der Sapiens Armand Peugeot. Der Gründer starb im Jahr 1915. Das Unternehmen Peugeot existiert bis heute.
    Aber wie genau schuf der Mensch Armand Peugeot das Unternehmen Peugeot? Ungefähr so, wie französische Dorfpfarrer im katholischen Nachbardorf jeden Sonntag aus Brot den Leib Christi erschufen. Im Grunde ging es in beiden Fällen um Geschichten und darum, andere Menschen von der Wahrheit dieser Geschichten zu überzeugen. In der Geschichte des Pfarrers ging es um das Leben und Sterben eines Mannes namens Jesus Christus, wie es von der katholischen Kirche erzählt wird. Wenn ein Priester mit all seinen heiligen Gewändern und geweihten Gerätschaften im richtigen Moment die richtigen Worte sprach, verwandelten sich gewöhnliche Oblaten in den Leib Christi und

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