Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
eingebrochen. Die wenigen überlebenden Indios wurden von einem gierigen, rassistischen Regime versklavt, das die Unterdrückung durch die Azteken weit in den Schatten stellte.
Zehn Jahre nach der Ankunft von Cortés in Mexiko landete Pizarro an der Küste des Inkareichs. Er brachte noch weniger Soldaten mit als Cortés: Seine Expedition bestand lediglich aus 168 Männern! Doch Pizarro brachte das Wissen aller früheren Eroberungen mit, während die Inkas nichts vom Schicksal der Azteken gehört hatten. Pizarro schaute sich seine Strategie von Cortés ab. Er stellte sich als friedlicher Botschafter des spanischen Königs vor, lud Inkaherrscher Atahualpa zu einem diplomatischen Gespräch ein und nahm ihn als Geisel. Dann eroberte Pizarro das gelähmte Reich mit Hilfe von Verbündeten vor Ort. Hätte Atahualpa auf CNN gesehen, was mit Moctezuma passierte, wäre er nicht auf diesen alten Trick hereingefallen. Und wenn die unterworfenen Völker des Inkareichs gewusst hätten, was mit den Mexikanern passiert war, hätten sie nicht gemeinsame Sache mit den Eindringlingen gemacht. Aber sie hatten nicht die geringste Ahnung.
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Die Ureinwohner Amerikas waren nicht die Einzigen, die einen hohen Preis für ihren Provinzialismus bezahlen mussten. Die großen Reiche Asiens – die Osmanen, Perser, Moguln und Chinesen – bekamen sehr bald mit, dass die Europäer einen neuen Kontinent entdeckt hatten. Doch sie interessierten sich nicht dafür. Sie glaubten nach wie vor, dass sich die Welt um Asien drehte und unternahmen keinerlei Anstrengungen, den Europäern die Kontrolle über Amerika oder die neuen Schifffahrtsrouten im Atlantik und Pazifik streitig zu machen. Selbst winzige europäische Königreiche wie Schottland oder Dänemark schickten Eroberungs- und Forschungsexpeditionen nach Amerika, doch die islamischen Imperien, China oder Indien machten sich nicht die Mühe, auch nur eine einzige Expedition zu entsenden. Die erste nicht-europäische Macht, die eine Militärexpedition auf den amerikanischen Kontinent schickte, war Japan, und zwar während des Zweiten Weltkriegs. Im Jahr 1942 besetzten japanische Soldaten die Inseln Kiska und Attu vor der Küste Alaskas und nahmen zehn Soldaten und einen Hund gefangen. Näher kamen sie dem Festland nie.
Man kann nicht behaupten, dass die Osmanen oder Chinesen zu weit weg gewesen seien oder dass ihnen das technische, wirtschaftliche und militärische Knowhow zur Erforschung und Eroberung gefehlt hätte. Mit den Mitteln, mit denen Zheng He in den 1420er Jahren nach Afrika segelte, wären die Chinesen auch bis nach Amerika gekommen. Aber sie hatten einfach kein Interesse. Die erste chinesische Weltkarte, auf der Amerika eingezeichnet war, stammt aus dem Jahr 1602 und wurde von einem europäischen Missionar angefertigt.
Drei Jahrhunderte lang waren die Europäer die unumstrittenen Herrscher Amerikas, Ozeaniens, des Atlantiks und des Pazifiks. Wenn es zu Auseinandersetzungen kam, dann zwischen Europäern. Mit den Reichtümern und Ressourcen, die sie aus ihren Kolonien zusammentrugen, konnten sie den großen asiatischen Reichen vor ihrer eigenen Haustür auf der Nase herumtanzen. Als die Osmanen, Perser, Inder und Chinesen aufwachten und Interesse an den Ereignissen im Ausland zeigten, war es bereits zu spät.
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Die nichteuropäischen Nationen entwickelten erst im 20. Jahrhundert eine globale Sicht. Das war einer der entscheidenden Gründe für das Ende der europäischen Vorherrschaft. Während des Unabhängigkeitskriegs in Algerien (1954–62) besiegten die algerischen Guerillakämpfer die französische Armee, obwohl diese zahlenmäßig, technisch und wirtschaftlich haushoch überlegen war. Die Algerier behaupteten sich, da sie von einem weltumspannenden, antikolonialen Netzwerk unterstützt wurden, und weil sie es verstanden, die globalen Medien und sogar die öffentliche Meinung in Frankreich für sich zu nutzen. Die Niederlage, die das kleine Nordvietnam den großen Vereinigten Staaten beibrachte, hatte ähnliche Ursachen. Die Guerillakrieger demonstrierten, dass man selbst eine Supermacht besiegen konnte, wenn man aus einem regionalen Konflikt einen globalen Krieg machte. Man kann darüber spekulieren, was wohl passiert wäre, wenn Moctezuma die öffentliche Meinung in Spanien hätte beeinflussen können oder wenn er Militärhilfe von den Portugiesen, Franzosen oder Osmanen und anderen Feinden Spaniens bekommen hätte.
Seltene Spinnen und vergessene Schriften
Die modernen
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