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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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Wissenschaften und Imperien wurden angetrieben von dem nagenden Gefühl, dass hinter dem Horizont vielleicht irgendetwas Wichtiges auf sie warten könnte – etwas, das man erforschen und beherrschen musste. Doch die Verbindung zwischen Wissenschaft und Imperium ging noch weiter. Denn nicht nur der Antrieb war derselbe, auch die Praxis der Imperialisten und Wissenschaftler war eng miteinander verknüpft. Für die meisten Europäer war der Aufbau eines Imperiums ein wissenschaftliches Projekt, und der Aufbau einer wissenschaftlichen Disziplin war umgekehrt ein imperiales Projekt.
    Als die Muslime Indien eroberten, brachten sie keine Archäologen, Geologen und Zoologen zur systematischen Erforschung der indischen Geschichte, Gesteinsformationen und Fauna mit. Als die Engländer Indien eroberten, hatten sie all diese Wissenschaftler im Gepäck. Am 10. April 1802 begann The Great Survey of India , die Große Trigonometrische Vermessung des Subkontinents, die sechzig Jahre dauern sollte. Unterstützt durch Zehntausende indische Arbeiter, Gelehrte und Führer kartographierten die Briten ganz Indien, markierten Grenzen, maßen Entfernungen und berechneten erstmals die exakte Höhe des Mount Everest und anderer Gipfel des Himalaja. Die Briten erforschten natürlich die militärischen Ressourcen der indischen Provinzen und ihre Rohstoffquellen, aber daneben sammelten sie auch Informationen über seltene Spinnen, katalogisierten bunte Schmetterlinge, suchten nach den Ursprüngen ausgestorbener Sprachen und gruben vergessene Ruinen aus.
    Ein Beispiel für diesen Eifer ist die Erforschung eines antiken Hügels namens Mohenjo-Daro. Unter diesem Hügel verbarg sich eine der wichtigsten Städte der Indus-Kultur, die im dritten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung entstanden sein muss und um 1900 v. u. Z. zerstört wurde. Vor Ankunft der Briten hatte sich kein indischer Herrscher – die Maurya und Gupta genauso wenig wie die Sultane von Delhi oder die Großmoguln – für diese Ruinen interessiert. Im Jahr 1922 stieß ein Team von britischen Archäologen auf die Stätte, führte Grabungen durch und präsentierte der erstaunten Weltöffentlichkeit die Ursprünge der indischen Zivilisation, an die sich kein Inder erinnerte.
    Ein weiteres Beispiel für die wissenschaftliche Neugierde der Briten ist die Entschlüsselung der Keilschrift. Nachdem sie im Nahen Osten fast drei Jahrtausende lang die wichtigste Schrift gewesen war, wurde sie allmählich durch andere ersetzt und verschwand zu Beginn des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung. Während der folgenden zweitausend Jahre begegneten die Bewohner der Region zwar immer wieder Keilschrift-Texten auf Gebäuden, Stelen, antiken Ruinen und Tonscherben. Doch sie konnten diese sonderbaren Haken und Kratzer nicht lesen, und nach allem was wir heute wissen, unternahmen sie auch keinen Versuch. Das europäische Interesse an der Keilschrift wurde im Jahr 1618 geweckt, als der spanische Botschafter in Persien einen Ausflug zu den Ruinen der antiken Stadt Persepolis unternahm und Inschriften sah, die niemand lesen konnte. Die Nachricht von dieser unbekannten Schrift machte unter europäischen Gelehrten die Runde und weckte ihre Neugierde. Im Jahr 1657 veröffentlichten europäische Forscher die erste Kopie einer Inschrift aus Persepolis. Weitere Abschriften folgten, und zwei Jahrhunderte lang versuchten europäische Wissenschaftler erfolglos, die Texte zu entziffern.
    In den 1830er Jahren wurde ein britischer Offizier namens Henry Rawlinson nach Persien entsandt, um dem Schah beim Aufbau einer Armee nach europäischen Vorbild behilflich zu sein. In seiner Freizeit reiste Rawlinson durchs Land und wurde von Bergführern zu einer 15 Meter hohen und 25 Meter breiten Inschrift auf einer Felswand im Zāgros-Gebirge geführt – der Behistun-Inschrift. Der Text, den König Darius I. rund 500 v. u. Z. hoch in den Fels hatte meißeln lassen, war in drei Sprachen verfasst: Altpersisch, Elamisch und Babylonisch. Die Einheimischen kannten das Monument natürlich, doch keiner konnte den Text lesen, und sie interessierten sich auch nicht dafür. Doch Rawlinsons wissenschaftliche Neugier war geweckt. Er war überzeugt, dass die Inschrift eine Tür zu einer alten und vergessenen Welt war. Wenn sich diese Inschrift entziffern ließ, konnten auch die zahlreichen Inschriften und Texte, die damals im Nahen Osten entdeckt wurden, zum Sprechen gebracht werden.
    In den nächsten zehn Jahren ging Rawlinson seinem

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