Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
schlechten Zeiten werden sie später geschlechtsreif und bekommen im Laufe ihres Lebens entsprechend weniger Nachwuchs.
Zu dieser natürlichen Geburtenkontrolle kamen kulturelle Mechanismen. Säuglinge und Kleinkinder, die sich nur langsam fortbewegen und viel Zuwendung verlangen, waren den umherziehenden Wildbeutern eine Last. Frauen bekamen höchstens alle drei oder vier Jahre ein Kind. Diesen Rhythmus konnten sie einhalten, weil sie ihre Kinder rund um die Uhr stillten, bis diese relativ groß waren (Stillen verringert die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Schwangerschaft), weil sie sexuell enthaltsam blieben (möglicherweise unterstützt durch kulturelle Tabus), weil sie abtrieben und weil sie ihre Kinder gelegentlich töteten. 28
In diesen langen Jahrtausenden aßen die Menschen hin und wieder auch ein paar Weizenkörner, doch diese machten nur einen kleinen Teil ihrer Ernährung aus. Vor rund 18000 Jahren endete dann die letzte Eiszeit und eine Periode der weltweiten Erwärmung setzte ein. Mit den Temperaturen stiegen auch die Niederschlagsmengen. Das neue Klima des Nahen Ostens war ideal für Weizen und andere Getreidearten, die sich vermehrten und verbreiteten. Die Menschen aßen mehr Weizen und machten damit unbewusst Werbung für ihn. Da die Grassamen vor dem Verzehr geschält, gemahlen und gegart werden müssen, mussten sie in die Lager gebracht und dort verarbeitet werden. Weizenkörner sind klein und zahlreich, weshalb auf dem Weg zum Lager unweigerlich einige verloren gingen. So kam es, dass im Laufe der Zeit entlang der Pfade und in der Nähe der Lagerstätten der Menschen immer mehr Weizen wuchs.
Auch die Brandrodung kam dem Weizen zugute. Das Feuer lichtete Bäume und Sträucher und verschaffte dem Weizen und anderen Gräsern den Zugang zu Licht, Wasser und weiteren Nährstoffen. Wo der Weizen besonders üppig wuchs und Wild und andere Nahrungsquellen besonders reichlich vorkamen, gaben die Menschen allmählich ihre nomadische Lebensweise auf und ließen sich in festeren Lagern nieder, in denen sie über eine oder mehrere Jahreszeiten hinweg blieben.
Zunächst blieben sie vier Wochen, während der Erntezeit. Eine Generation später blieb das Erntelager schon fünf Wochen bestehen, dann sechs, und schließlich verwandelte es sich in eine feste Siedlung. Überreste solcher Dörfer wurden im gesamten Nahen Osten gefunden, besonders in der Levante, wo zwischen 12500 und 9500 vor unserer Zeitrechnung die Natufienkultur blühte. Die Natufier waren Jäger und Sammler, die sich von Dutzenden Tier- und Pflanzenarten ernährten, aber in festen Siedlungen lebten und sich der intensiven Sammlung und Verarbeitung von wildem Getreide widmeten. Sie errichteten Häuser und Schuppen aus Stein, lagerten das Getreide für schlechte Zeiten ein und erfanden neue Werkzeuge wie Steinsicheln zur Ernte der Wildgräser und Steinmörser zu ihrer Verarbeitung.
Auch die Nachfahren der Natufier sammelten und verarbeiteten Wildgetreide, doch sie begannen nun damit, die Pflanzen zu züchten. Sie legten einen Teil der eingesammelten Körner beiseite, um sie im nächsten Frühjahr auszusäen. Dabei stellten sie fest, dass sie bessere Ernten erzielten, wenn sie das Getreide tiefer in den Boden einbrachten und es nicht einfach willkürlich ausstreuten. Sie begannen zu harken und zu pflügen. Allmählich jäteten sie auch Unkraut, schützten die Felder vor Parasiten und wässerten und düngten sie. Je mehr Zeit sie auf den Anbau von Getreide verwendeten, umso weniger Zeit blieb ihnen, um wilde Arten zu sammeln und zu jagen. Aus den Wildbeutern wurden Bauern.
Der Übergang von der Frau, die Wildweizen sammelt, zu der Frau, die angebauten Weizen verarbeitet, ist fließend. Deshalb ist es schwer, einen genauen Zeitpunkt für den Beginn der Landwirtschaft zu benennen. Aber vor 10500 Jahren fanden sich überall im Nahen Osten feste Siedlungen wie Jericho, deren Einwohner ihre Zeit überwiegend mit dem Anbau einiger weniger Pflanzenarten zubrachten.
Mit der Gründung fester Siedlungen und der Zunahme der Nahrungsmenge wuchs auch die Bevölkerung. Nachdem die Menschen sesshaft geworden waren, konnten Frauen jedes Jahr ein Kind zur Welt bringen. Babys wurden eher abgestillt, an die Stelle der Muttermilch traten Haferschleim und Getreidebreie. Die zusätzlichen Hände wurden dringend auf dem Acker gebraucht. Doch die zusätzlichen Münder aßen den Überschuss schnell auf und verlangten nach mehr. So kam es, dass die Kinder im
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