Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Städte miteinander verbanden.
Um diese neuen Chancen zu nutzen, reichten die Nahrungsmittelüberschüsse und die neuen Transportmittel allein jedoch noch nicht aus. Wenn man eine Stadt mit tausend oder ein Imperium mit einer Million Einwohnern ernähren kann, heißt das noch lange nicht, dass sich diese Menschen über die Verteilung von Land und Wasser, die Regelung von Streitfällen oder ihr Verhalten im Krieg oder bei Dürre einigen können. Aber wenn sie keine Einigung finden, brechen Streitigkeiten aus, selbst wenn die Kornspeicher aus allen Nähten platzen. Die meisten Kriege und Revolutionen wurden nicht durch Nahrungsmittelknappheit verursacht. An der Spitze der Französischen Revolution standen keine ausgemergelten Bauern, sondern wohlgenährte Anwälte. Im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung stand das Römische Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht, aus dem gesamten Mittelmeerraum transportierten Schiffe die Schätze heran und machten die Römer reicher, als es sich ihre Vorfahren in ihren kühnsten Träumen ausmalen konnten; doch gerade in diesem Moment des Reichtums versank die politische Ordnung in einer Reihe von Bürgerkriegen. Auch im Jugoslawien des Jahres 1991 waren die Regale der Supermärkte gut gefüllt, doch das konnte nicht verhindern, dass das Land von blutigen Konflikten zerrissen wurde.
Schuld an diesen Katastrophen ist die Tatsache, dass wir Sapiens keine natürlichen Instinkte mitbringen, die uns die Zusammenarbeit mit großen und anonymen Gruppen ermöglichen würden. Über Jahrmillionen hinweg entwickelten sich die Menschen in Grüppchen mit einigen Dutzend Angehörigen. Die wenigen Jahrtausende, die zwischen der landwirtschaftlichen Revolution und dem Aufstieg von Städten und Weltreichen vergingen, genügten nicht, um einen »Instinkt der Massenkooperation« entstehen zu lassen.
Trotz dieses biologischen Defizits waren Jäger und Sammler schon in der Lage gewesen, in großen Gruppen von Hunderten Menschen zusammenzuarbeiten, die einander nicht persönlich kannten. Möglich wurde dies durch gemeinsame Mythen. Diese Zusammenarbeit war allerdings noch sehr lose und hatte ihre Grenzen. Die verschiedenen Gruppen versorgten einander mit Information, tauschten begehrte Gegenstände und schlossen sich gelegentlich zu religiösen Zeremonien oder kriegerischen Allianzen zusammen. Doch jede Sapiens-Gruppe lebte für sich und versorgte sich selbst. Daraus könnte man schließen, dass die menschliche Mythologie damit an ihre Grenzen kam. Mythen über die Geister der Vorfahren und Stammestotems reichten aus, um 500 Menschen zum Handel mit Muscheln, zu gelegentlichen Festivitäten und zum gemeinsamen Kampf gegen eine Gruppe von Neandertalern zusammenzubringen. Das wa r ’s aber auch schon. Sie waren nicht stark genug, um Millionen von Unbekannten dazu zu bringen, auf täglicher Basis zusammenzuarbeiten.
Diese Schlussfolgerung wäre jedoch ein Irrtum. Die Mythen waren stärker, als man es für möglich halten sollte. Als die landwirtschaftliche Revolution die Möglichkeit zur Gründung überfüllter Städte und mächtiger Weltreiche eröffnete, erfanden die Menschen Geschichten über große Götter, Vaterländer und Aktiengesellschaften und schufen damit den nötigen gesellschaftlichen Kitt. Während die biologische Evolution im üblichen Schneckentempo dahinkroch, schuf die menschliche Fantasie erstaunliche Netzwerke der Massenkooperation, wie sie unser Planet noch nie gesehen hatte.
Um das Jahr 8500 vor unserer Zeitrechnung waren die größten Siedlungen der Welt Dörfer wie Jericho mit einigen Hundert Einwohnern. Um das Jahr 7000 v. u. Z. lebten zwischen 5000 und 10000 Menschen in der damals vermutlich größten Metropole der Welt, einer Stadt namens Çatalhöyük in Anatolien. Zwischen dem fünften und dem vierten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung entstanden im sogenannten fruchtbaren Halbmond Städte mit mehreren Zehntausend Einwohnern, die auch die Dörfer ihrer Umgebung unter ihre Herrschaft brachten. Um das 3100 v. u. Z. wurde das Untere Niltal zum ersten Königreich Ägypten vereint. Die Pharaonen herrschten über ein Land mit Tausenden Quadratkilometern und Hunderttausenden Untertanen. Um das Jahr 2250 v. u. Z. schmiedete Sargon von Akkad das erste Imperium mit mehr als einer Million Einwohner und einer stehenden Armee von 5400 Soldaten. Zwischen 1000 und 500 v. u. Z. entstanden im Nahen Osten die ersten Riesenreiche: das Assyrische Reich, das Babylonische Reich und das
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