Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
mehr entkommen kann, gilt dies auch für alles andere: Alles wird durch das Gravitationsfeld zurückgezogen. So gibt es eine Menge von Ereignissen, eine Region der Raumzeit, aus der kein Entkommen möglich ist. Eine solche Region nennen wir heute Schwarzes Loch. Ihre Grenze wird als Ereignishorizont bezeichnet und deckt sich mit den Wegen der Lichtstrahlen, denen es gerade nicht gelingt, dem Schwarzen Loch zu entkommen.
Um zu verstehen, was man sähe, wenn man beobachtete, wie ein Stern zu einem Schwarzen Loch zusammenstürzt, muß man sich ins Gedächtnis rufen, daß es nach der Relativitätstheorie keine absolute Zeit gibt. Jeder Beobachter hat sein eigenes Zeitmaß. Die Zeit für jemanden auf einem Stern wird infolge des Gravitationsfeldes anders sein als für jemanden, der sich in einiger Entfernung von dem Stern befindet. Nehmen wir an, ein furchtloser Astronaut auf der Oberfläche eines kollabierenden Sterns sendet nach seiner Uhr jede Sekunde ein Signal an sein Raumschiff, das den Stern umkreist. Zu einem bestimmten Zeitpunkt auf seiner Uhr, sagen wir um 11:00, unterschreitet der Stern bei seiner Kontraktion den kritischen Radius – das Gravitationsfeld wird so stark, daß ihm nichts mehr entrinnen kann. Auch die Signale des Astronauten erreichen das Raumschiff nicht mehr. Seine Gefährten im Raumschiff würden feststellen, daß zwischen den Signalen immer größere Intervalle lägen, je näher 11:00 Uhr rückte. Doch bliebe dieser Effekt vor 10:59:59 noch sehr klein. Ihre Wartezeit zwischen dem 10:59:58- und dem 10:59:59-Signal wäre nur um eine Winzigkeit länger als eine Sekunde, doch sie würden vergebens auf das 11:00-Signal warten. Die Lichtwellen, die die Oberfläche des Sterns zwischen 10:59:59 und 11:00 (nach der Uhr des Astronauten) aussendete, würden sich, vom Raumschiff aus gesehen, über einen unendlichen Zeitraum ausbreiten. Aufeinanderfolgende Wellen träfen in immer größeren Zeitabständen beim Raumschiff ein, so daß das vom Stern kommende Licht immer röter und röter und schwächer und schwächer erschiene. Schließlich wäre der Stern so dunkel, daß man ihn vom Raumschiff aus nicht mehr sehen könnte: Es bliebe nur ein Schwarzes Loch im Weltraum. Trotzdem würde der Stern nach wie vor die gleiche Gravitationskraft auf das Raumschiff ausüben, solange es um das Schwarze Loch kreist. Allerdings ist das Szenario nicht ganz realistisch, weil es ein Problem unberücksichtigt läßt: Je weiter man vom Stern entfernt ist, desto schwächer wird die Gravitation; deshalb wäre die Schwerkraft, die auf die Füße unseres furchtlosen Astronauten einwirkte, stets größer als die Kraft, der sein Kopf ausgesetzt wäre. Diese unterschiedlich starken Kräfte würden ihn wie Spaghetti in die Länge ziehen oder ihn sogar zerreißen, noch bevor der Stern bei seinem Zusammensturz jenen kritischen Radius erreicht hätte, bei dem sich der Ereignishorizont bildet! Wir glauben jedoch, daß es im Universum noch weit größere Objekte gibt, etwa die Zentralregionen von Galaxien, die in einem Gravitationskollaps ebenfalls zu Schwarzen Löchern kollabieren können. Ein Astronaut auf einem solchen Objekt würde nicht vor der Bildung des Schwarzen Loches entzweigerissen werden, ja er würde beim Erreichen des kritischen Radius noch nicht einmal irgend etwas Besonderes spüren. So könnte er den Punkt, von dem aus es keine Rückkehr mehr gäbe, überschreiten, ohne es zu bemerken. Doch innerhalb weniger Stunden – mit dem weiteren Kollaps der Region – würde der immer größer werdende Unterschied zwischen den auf seinen Kopf und seine Füße einwirkenden Gravitationskräften schließlich auch ihn zerreißen.
Abb. 18: Raumzeitdiagramm eines massereichen Sterns, der zu einem Schwarzen Loch kollabiert.
Aus den Untersuchungen, die Roger Penrose und ich zwischen 1965 und 1970 anstellten, ging hervor, daß es nach der Allgemeinen Relativitätstheorie im Schwarzen Loch eine Singularität von unendlicher Dichte und Raumzeitkrümmung geben muß. Sie gleicht weitgehend dem Urknall am Anfang der Zeit, nur bedeutet sie das Ende der Zeit für den zusammenstürzenden Himmelskörper (und den Astronauten). An dieser Singularität enden die Naturgesetze und unsere Fähigkeit, die Zukunft vorherzusagen. Indessen wäre kein Beobachter außerhalb des Schwarzen Loches von diesem Verlust der Vorhersagbarkeit betroffen, weil ihn weder Licht noch andere Signale von der Singularität erreichen könnten. Dieser bemerkenswerte
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