Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
(eine 1 mit 85 Nullen) Teilchen. Wo kommen sie alle her? Die Antwort lautet, daß nach der Quantentheorie Energie in Form von Teilchen-Antiteilchen-Paaren entstehen kann. Das aber wirft die Frage auf, woher die Energie kam. Die Antwort auf diese Frage: Die Gesamtenergie des Universums ist exakt gleich Null. Die Materie des Universums besteht aus positiver Energie. Doch all diese Materie zieht sich mittels der Gravitationskraft an. Zwei Materiestücke, die nahe beieinander sind, besitzen weniger Energie als die gleichen Stücke, wenn sie sich in größerer Entfernung voneinander befinden, weil man Energie aufwenden muß, um sie gegen den Widerstand der Gravitationskraft zu trennen, die bestrebt ist, die Materiestücke aufeinander zu zu bewegen. In gewissem Sinne besitzt das Gravitationsfeld also negative Energie. Für ein Universum, das in räumlicher Hinsicht weitgehend einheitlich beschaffen ist, kann man nachweisen, daß diese negative Gravitationsenergie die durch die Materie repräsentierte positive Energie exakt aufhebt. Deshalb ist die Gesamtenergie des Universums gleich Null.
Nun ist zwei mal Null ebenfalls Null. Das Universum kann also den Betrag der positiven Materieenergie und der negativen Gravitationsenergie verdoppeln, ohne gegen das Gesetz der Energieerhaltung zu verstoßen. Dies geschieht nicht bei der normalen Ausdehnung des Universums, in deren Verlauf die Dichte der Materieenergie geringer wird, wohl aber bei der inflationären Expansion, weil die Energiedichte des unterkühlten Zustands konstant bleibt, während sich das Universum ausdehnt: Wenn sich die Größe des Universums verdoppelt, verdoppeln sich auch die positive Materieenergie und die negative Gravitationsenergie, so daß die Gesamtenergie Null bleibt. Während der Inflationsphase wächst die Größe des Universums um einen sehr hohen Betrag. Damit wird die Gesamtenergie, die zur Hervorbringung von Teilchen zur Verfügung steht, sehr groß. Guths Kommentar: «Es heißt, von nichts kommt nichts. Doch das Universum ist die Verkörperung des entgegengesetzten Prinzips in höchster Vollendung.»
Heute dehnt sich das Universum nicht mehr inflationär aus. Es müßte also einen Mechanismus geben, der die sehr große effektive kosmologische Konstante aufgehoben und die beschleunigte Ausdehnung so verändert hat, daß sie von der Gravitation abgebremst wird, wie wir es heute beobachten. Bei der inflationären Ausdehnung wäre zu erwarten, daß die Symmetrie zwischen den Kräften irgendwann gebrochen wird, so wie auch unterkühltes Wasser am Ende stets gefriert. Dann würde die zusätzliche Energie des ungebrochenen Symmetriezustands freigesetzt werden und das Universum auf eine Temperatur erwärmen, die unmittelbar unter dem kritischen Wert für die Symmetrie zwischen den Kräften läge. Das Universum würde sich dann wie im Modell des heißen Urknalls ausdehnen und abkühlen, aber es gäbe jetzt eine Erklärung, warum es mit genau der kritischen Geschwindigkeit expandiert und warum verschiedene Regionen die gleiche Temperatur aufweisen.
In seinem ursprünglichen Vorschlag ging Guth davon aus, daß der Phasenübergang plötzlich auftrat, vergleichbar dem Erscheinen von Eiskristallen in sehr kaltem Wasser. Danach bildeten sich «Blasen» der neuen Phase gebrochener Symmetrie in der alten, wie sich Dampfblasen inmitten kochenden Wassers bilden. Die Blasen – so die These – dehnten sich aus und verbanden sich miteinander, bis sich das ganze Universum in der neuen Phase befand. Wie viele Wissenschaftler, unter anderem auch ich, nachwiesen, hat sich das Universum jedoch so rasch ausgedehnt, daß sich die Blasen, selbst wenn sie mit Lichtgeschwindigkeit gewachsen wären, zu schnell voneinander entfernt hätten, um sich miteinander verbinden zu können. Das Universum wäre in einem sehr ungleichförmigen Zustand geblieben, mit einer Reihe von Regionen, in denen noch Symmetrie zwischen den verschiedenen Kräften geherrscht hätte. Ein solches Modell des Universums entspricht nicht dem, was wir sehen.
Im Oktober 1981 besuchte ich in Moskau eine Konferenz über Quantengravitation. Danach hielt ich am Sternberg-Institut für Astronomie eine Reihe von Vorträgen über die Inflationstheorie und ihre Probleme. Sonst hatte ich immer jemanden damit betraut, die Vorträge in meiner Anwesenheit vorzulesen, da die meisten Leute meine Aussprache nicht verstehen konnten. Doch diesmal blieb mir keine Zeit zur Vorbereitung, und so hielt ich die Vorträge
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