Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hawking
Vom Netzwerk:
dieser Geschichten ist ein Zahlenpaar verknüpft, wobei die eine Zahl für die Größe der Welle und die andere für ihre Position im Zyklus (ihre Phase) steht. Die Wahrscheinlichkeit, daß zum Beispiel der Weg des Teilchens durch einen bestimmten Punkt führt, wird ermittelt, indem man die Wellen addiert, die mit jeder möglichen durch diesen Punkt verlaufenden Geschichte verknüpft sind. Versucht man jedoch, diese Summen tatsächlich auszurechnen, so sieht man sich mit erheblichen technischen Schwierigkeiten konfrontiert. Die einzige Möglichkeit, sie zu umgehen, besteht darin, daß man einer merkwürdig klingenden Anweisung folgt: Man addiere die Wellen von Teilchengeschichten, die nicht in der «realen», von Ihnen und mir erlebten Zeit liegen, sondern in der sogenannten imaginären Zeit. Imaginäre Zeit mag sich nach Science-fiction anhören, ist aber tatsächlich ein genau definierter mathematischer Begriff. Wenn wir eine natürliche (oder reelle) Zahl nehmen und sie mit sich selbst multiplizieren, so erhalten wir eine positive Zahl. (So ist 2 mal 2 gleich 4, genauso auch –2 mal –2.) Es gibt jedoch besondere Zahlen (man bezeichnet sie als imaginär), die negative Zahlen ergeben, wenn man sie mit sich selbst multipliziert. (Eine von ihnen heißt i; multipliziert man i mit sich selbst, so erhält man –1; 2 i mit sich selbst mal genommen ergibt –4 und so fort.)
    Reelle und imaginäre Zahlen lassen sich folgendermaßen darstellen: Für die reellen Zahlen wählt man eine Linie, die von links nach rechts verläuft, wobei die Null sich in der Mitte befindet, die negativen Zahlen wie –1, –2 usw. links und die positiven, 1, 2 usw., rechts stehen. Die imaginären Zahlen werden dann durch eine Linie repräsentiert, die auf der Buchseite nach oben und nach unten führt: i, 2i usw. oberhalb, –i, –2i usw. unterhalb der Mitte. In gewissem Sinne verlaufen also imaginäre Zahlen im rechten Winkel zu gewöhnlichen reellen Zahlen.
    Um die technischen Schwierigkeiten der Feynmanschen Aufsummierung von Möglichkeiten (Pfadintegralmethode) zu vermeiden, müssen wir uns der imaginären Zeit bedienen. Mit anderen Worten: Für die Berechnung müssen wir die Zeit mit imaginären statt reellen Zahlen messen. Das hat für die Raumzeit einen interessanten Effekt: Der Unterschied zwischen Zeit und Raum verliert sich vollständig. Eine Raumzeit, in der Ereignisse imaginäre Zahlenwerte auf der Zeitkoordinate besitzen, wird euklidisch genannt, nach dem griechischen Mathematiker, der die Geometrie zweidimensionaler Flächen begründet hat. Die euklidische Raumzeit ist diesen Flächen sehr ähnlich, nur hat sie vier Dimensionen und nicht zwei. In der euklidischen Raumzeit gibt es keinen Unterschied zwischen der Zeitrichtung und den Richtungen des Raums. Dagegen läßt sich dieser Unterschied in der «realen» Raumzeit, in der Ereignisse durch gewöhnliche reelle Zahlenwerte auf der Zeitkoordinate repräsentiert werden, ohne Schwierigkeiten angeben – die Zeitrichtung liegt auf allen Punkten innerhalb des Lichtkegels, während die Raumrichtungen außerhalb liegen. Auf jeden Fall sollten wir, soweit es die alltägliche Quantenmechanik betrifft, die imaginäre Zeit und die euklidische Raumzeit als bloßes mathematisches Werkzeug (oder als Trick) betrachten, um bestimmte Lösungen zur reellwertigen Raumzeit zu berechnen.
    Eine zweite Eigenschaft, die unserer Überzeugung nach jede übergreifende Theorie aufweisen muß, ist Einsteins Überlegung, daß dem Gravitationsfeld eine Krümmung der Raumzeit entspricht: Die Teilchen versuchen in einem gekrümmten Raum der größten Annäherung an einen geraden Weg zu folgen, aber da die Raumzeit nicht flach ist, erscheinen ihre Wege gekrümmt, als seien sie dem Einfluß eines Gravitationsfeldes unterworfen. Wenn wir auf die Einsteinsche Gravitationstheorie die Feynmansche Aufsummierung von Möglichkeiten anwenden, ist jetzt der Geschichte eines Teilchens eine vollständige gekrümmte Raumzeit analog, die die Geschichte des ganzen Universums repräsentiert. Um die technischen Schwierigkeiten zu vermeiden, auf die wir stoßen, wenn wir die Möglichkeiten tatsächlich aufsummieren wollen, müssen wir diese gekrümmten Raumzeiten euklidisch auffassen. Das heißt, die Zeit ist imaginär und ununterscheidbar von den Richtungen im Raum. Die Wahrscheinlichkeit einer reellwertigen Raumzeit mit irgendeiner bestimmten Eigenschaft, etwa der, daß sie an jedem Punkt und in jeder Richtung gleich

Weitere Kostenlose Bücher