Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser
Sibirien in die Verbannung
geschickt. Die Folge war, dass die neuzeitlich geschulten Studenten und Bürger
den Zaren furchtbar hassten und dass er in ständiger Furcht vor Mördern leben
musste. Es wurde auch wirklich beinahe jeder Zar schließlich umgebracht, sosehr
er sich auch bewachen ließ.
Es schien unmöglich, dass neben dem riesigen Rußland und dem
mächtigen, kriegsgewohnten Frankreich noch jemand in Europa etwas zu sagen
haben sollte. Spanien war ganz machtlos geworden, seit sich seine Kolonien in
Südamerika im Jahre 1810 von ihm zu lösen begannen. Die Türkei hieß in den
Zeitungen gewöhnlich der »kranke Mann«, denn ihre Besitzungen in Europa waren
nicht mehr zu halten. Die einzelnen christlichen Völker, die die Türken einst
beherrscht hatten, erkämpften sich unter der begeisterten Mithilfe Europas
allmählich die Freiheit. Zuerst die Griechen, später auch die Bulgaren,
Rumänen, Albaner. Um den Rest der europäischen Türkei, um Konstantinopel,
stritten sich die Russen, Franzosen und Österreicher, und das war das Glück der
Türken, denn ein Staat gönnte dem anderen diese fette Beute nicht. Darum blieb
Konstantinopel türkisch.
Um die italienischen Herrschaftsgebiete kämpften damals (wie seit
Jahrhunderten) Frankreich und Österreich. Aber die Zeiten waren anders
geworden. Auch die Italiener waren einander durch Eisenbahnen nahe gebracht
worden, auch sie wurden, ebenso wie die deutschen Städte, sich bewusst, dass
sie nicht nur Florentiner oder Genuesen, Venezianer oder Neapolitaner waren,
sondern eben alle Italiener. Und dass sie selbst über ihr Schicksal entscheiden
wollten. Damals war ein kleiner Staat im Norden Italiens der einzige, der frei
und selbstständig war. Er lag am Fuß des Gebirges, über das einst Hannibal in
die Ebene hinabgestiegen war. Weil sie am Fuß des Berges liegt, heißt die
Gegend Piemont, das heißt eben »Fuß des Berges«. Piemont also und die Insel
Sardinien bildeten zusammen ein kleines, aber kräftiges Königreich unter dem
König Viktor Emanuel, der einen besonders klugen, geschmeidigen Minister,
Camillo Cavour, hatte, der genau wusste, was er wollte. Er wollte das, wonach
sich alle Italiener schon lange sehnten und wofür viele Menschen während und
nach der Revolution von 1848 in kühnen, aber regellosen, abenteuerlichen
Kämpfen ihr Blut vergossen hatten: Er wollte ein einiges italienisches Reich.
Cavour war selbst kein Kämpfer. Er glaubte nicht an die Kraft der geheimen
Verschwörungen und der tollkühnen Überfälle, mit denen damals ein mutiger
Fantast namens Garibaldi und seine jungen Mitkämpfer dem Land die Freiheit
erkämpfen wollten. Cavour suchte einen anderen, wirksameren Weg und fand ihn
auch.
Es gelang ihm, den ehrgeizigen Kaiser der Franzosen, Napoleon III.,
zu überreden, dass er sich für die Freiheit und Einheit Italiens einsetzen
müsse. Napoleon III. konnte daraus ja nur Vorteile und keine Nachteile haben.
Wenn er sich für die Freiheit dieses Landes einsetzte, das nicht ihm gehörte,
so schädigte er damit höchstens Österreich, das in Italien Besitzungen hatte,
und das war ihm nicht unangenehm. Aber als Bringer der Freiheit machte er sich
gleichzeitig zum Helden eines großen europäischen Volkes, und das war ihm
angenehm. Den geschickten Verhandlungen Cavours, des Ministers von Piemont und
Sardinien, und den kühnen begeisterten Kämpferfahrten des wilden Freiheitskämpfers
Garibaldi gelang es wirklich unter großen Opfern, das Ziel der Italiener zu
erreichen. In den zwei Kriegen mit Österreich 1859 und 1866 waren zwar die
österreichischen Heere oft siegreich, aber schließlich musste Kaiser Franz
Josef, durch die Macht Napoleons III. gezwungen, seine Besitzungen in Italien,
die Gegenden von Mailand und von Venedig, abgeben. In anderen Ländern fanden
große Volksabstimmungen statt, die alle das Ergebnis hatten, dass die ganze
Bevölkerung zu Italien wollte. So dankten die verschiedenen Herzöge ab. 1866
war Italien geeinigt. Nur eines fehlte noch, die Hauptstadt Rom, die ja dem
Papst gehörte und die Napoleon III. den Italienern nicht überliefern wollte, um
sich nicht mit dem Papst zu überwerfen. Er schützte die Stadt durch französische
Truppen und wehrte verschiedene Angriffe von Garibaldis Freiwilligen ab.
Österreich hätte vielleicht 1866 seinen hartnäckigen Kampf gegen die
Italiener nicht schließlich doch verloren, wenn es nicht Cavour in seiner
Klugheit verstanden hätte, ihm auch im Norden einen Gegner in den
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