Eine Lady zu gewinnen ...
bedeutete, Dinge zu wollen, die Frauen selbstverständlich vorenthalten wurden: die Gewissheit, dass niemand einen verletzen konnte, es sei denn, man ließ es zu; das köstliche Gefühl, wenn eine Kugel exakt die Zielscheibe durchschlug; das unvergleichliche Vergnügen, besser schießen zu können als ein Haufen idiotischer, aufgeblasener Männer, die sich für etwas Besseres hielten. Sie wäre vielleicht in der Lage gewesen, Mr Pinter zu dulden, wenn der Kerl irgendwelche Empfindungen hätte …
Ihr entschlüpfte ein Fluch. Es war völlig egal, ob er Empfindungen hatte oder nicht. Er arbeitete für ihre Großmutter, das war alles. Sie hatte überhaupt nichts mit ihm zu schaffen.
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Briefumschlag zu. Sie war enttäuscht und verletzt gewesen, als Gabe schließlich Großmutters Forderungen nachgegeben und Miss Waverly den Hof gemacht hatte. Aber es war etwas anderes, wenn er Miss Waverly wirklich liebte – was der Brief zu beweisen schien.
Der Brief mit all seinen verborgenen Andeutungen schien ihr die Hand zu versengen und machte sie unruhig. Wenn mir etwas zustoßen sollte …
Sie seufzte. Mit dem Schießen würde es heute nichts mehr werden.
Sie kehrte um und ging zurück zum Haus.
Isaac marschierte im Wohngemach auf und ab und überlegte, ob er Virginia wecken sollte. Er hatte sie gegen vier Uhr früh schließlich überreden können, ins Bett zu gehen, und jetzt schlief sie Gott sei Dank immer noch. Aber er wollte zurück nach Waverly Farm. Dieser Kasten hier erinnerte ihn zu sehr an das Landgut in Hertfordshire, das jetzt Pierce gehörte, dem rechtmäßigen Erben des Titels.
Es klopfte leise an die Tür des Wohngemachs. Er öffnete in der Annahme, dass es ein Diener wäre, doch zu seiner Überraschung stand Hetty mit einer Vase frisch geschnittener Blumen auf der Schwelle. Sie wirkte blass und übernächtigt, doch irgendwie gelang es ihr, selbst dabei noch hübsch auszusehen.
»Darf ich hereinkommen?«
»Natürlich.«
»Wie geht es ihr?«, fragte Hetty, während er zur Seite trat, um sie hereinzulassen.
»Sie schläft. Ich überlegte gerade, ob ich sie aufwecken soll. Ich werde auf der Farm gebraucht. Haben Sie irgendetwas von Lord Gabriel gehört?«
»Leider nein.« Hetty stellte die Vase auf einen Tisch. »Ich habe ihr Lavendel aus unserem Garten gebracht. Gabe hat mir gesagt, dass sie Lavendel besonders gern mag, und ich dachte, es würde sie ein bisschen aufmuntern. Es war gar nicht so einfach, welchen zu finden. Irgendjemand hat wie ein Verrückter unseren Lavendel geplündert.«
Er sieht die Frau, die hübsch gefunden werden möchte, die sich Blumen wünscht …
Ein Stöhnen entfuhr ihm. »Ich bin doch ein alter Narr.«
Sie sah ihn fragend an. »Warum?«
»Ich habe gedacht, es wäre unser Lavendel, mit dem sie bei uns alle Vasen füllt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe mir eingebildet, wenn ich Ihren Enkel im Stall beschäftige, dann hat er keine Gelegenheit, ihr den Hof zu machen. Aber währenddessen hat er es natürlich die ganze Zeit dennoch getan, direkt vor meiner Nase. Ich habe nur das gesehen, was ich sehen wollte.«
Hetty arrangierte aufmerksam die Blumen. »Das tun wir oft.«
Er warf ihr einen reumütigen Blick zu. »Sie nicht. Sie haben sofort erkannt, dass sie ein leidenschaftliches Naturell hat, aber ich habe es nicht wahrhaben wollen. Sie ist immer so vernünftig, dass ich vergessen habe, dass sie auch andere Bedürfnisse hat, weibliche Bedürfnisse.« Er zögerte. »Ihr Enkel hatte mehr Sinn dafür als ich.«
Jetzt fiel ihm auch wieder ein, wie Sharpe sie gegen Hob in Schutz genommen hatte, wie er ihr Komplimente über ihre Kleider gemacht und sich für die Sandwiches bedankt hatte … Er hatte sich ganz einfach wie ein Gentleman verhalten.
Wenn er sich Sharpes Benehmen in der letzten Woche vor Augen führte, dann musste er zugeben, dass er sich stets wie ein Gentleman verhalten hatte. Genau genommen sogar besser. Er hatte sich kein einziges Mal darüber beklagt, dass er ihn die Ställe ausmisten ließ, und er hatte seine Arbeit mehr als gründlich erledigt. Er hatte sich ehrlich dafür interessiert, wie Isaac seine Pferde trainierte, und er hatte ihm sogar einige gute Ratschläge gegeben, was das Futter für die Vollblüter anging.
Der Kerl war entweder ein hervorragender Schauspieler oder ein wahrer Gentleman. Isaac war so lange fest davon überzeugt gewesen, dass er Ersteres war, dass es ihm nun schwerfiel, ihn als Letzteres
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