Eine Lady zu gewinnen ...
beobachteten gespannt den General, der sich einem Pferd näherte, das sich mit aller Gewalt gegen einen Stallburschen zur Wehr setzte. War der Mann verrückt? Er würde niedergetrampelt werden! Warum schauten die anderen nur zu, um Himmels willen? Waverly war beinahe siebzig!
Gabe ritt hart an den Zaun heran, sprang vom Pferd und wollte sich gerade über den Zaun schwingen, um den General aus der Koppel zu ziehen, als jemand ihn am Arm festhielt.
Als er der Person einen bösen Blick zuwarf, erkannte er zu seinem Erstaunen Virginia, die ein braunes Morgenkleid aus Chintz mit einer schlichten weißen Schürze trug.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte sie.
»Ich versuche, Ihren Großvater zu retten!«, erwiderte er und schüttelte ihre Hand ab.
Sie lachte und nahm ihn erneut beim Arm. »Sie müssen ihn nicht retten. Schauen Sie einfach zu.«
Er folgte ihrem Blick in die Koppel, wo der General gerade das Halfter des Pferdes ergriff. Nachdem er den Stallburschen weggeschickt hatte, näherte er sich dem Hengst, wobei er mit leiser Stimme auf ihn einredete. Der Hengst hörte sofort auf zu buckeln, tänzelte allerdings weiterhin erregt auf der Stelle herum. Der alte Mann trat noch näher an ihn heran und begann, den Nacken des Pferdes zu streicheln, während er unablässig leise mit ihm sprach.
»Was zur Hölle macht er da?«, fragte Gabe.
»Haben Sie jemals von einem Mann namens Daniel Sullivan gehört?«, fragte sie.
»Unser Stallmeister hat den Namen ein paarmal erwähnt. War das nicht dieser sogenannte Pferdeflüsterer?«
Sie runzelte die Stirn. »Das ist nur der idiotische Name, den ihm die Leute gegeben haben, als sie sahen, wie er leise mit den Pferden sprach. Es war nicht das Flüstern, auf das es ankam, es waren seine Trainingsmethoden.«
Vor zwanzig Jahren war Sullivan unter Reitern eine Legende gewesen, weil es ihm gelang, selbst solche Pferde zu bändigen und zu trainieren, die als hoffnungslose Fälle galten. Manche Leute sagten, dass er seine Methoden von den Zigeunern gelernt habe, aber niemand wusste etwas Genaueres. »Ich dachte, er hätte seine Methoden niemandem verraten?«
»Er und Poppy waren Freunde. Bevor er starb, hat er meinem Großvater einiges von dem beigebracht, was er wusste. Den Rest hat Poppy auf eigene Faust entwickelt.«
Gabe beobachtete fasziniert, wie ein Pferd, das er als hoffnungslos abgeschrieben hätte, sich so weit beruhigen ließ, dass man ihm einen Sattel auf den Rücken legen konnte.
»Manchmal bringen die Leute Pferde, mit denen sie nicht zurechtkommen, zu Poppy«, fuhr sie fort. »Er tut, was er kann, um sie rittig zu machen. Er hat wochenlang mit dem Hengst gearbeitet. Dieser Narr von einem Stallburschen hat nicht zugehört, als mein Großvater ihm erklärt hat, wie man mit dem Pferd umgehen muss. Deshalb musste Poppy eingreifen.« Sie seufzte. »Unglücklicherweise heißt das, dass Poppy den Stallburschen wahrscheinlich entlassen wird. Und wir können es uns nicht leisten, noch einen weiteren Stallburschen zu verlieren.«
Gabe horchte auf. Vielleicht ergab sich hier eine Möglichkeit, in Virginias Nähe zu gelangen und ihr seine gute Seite zu zeigen.
Waverly übergab das Halfter des Hengstes einem der Farmarbeiter, der das Pferd wegführte. Dann wandte er sich dem uneinsichtigen Stallburschen zu, um ihm die Leviten zu lesen. Der junge Mann stritt mit dem General, bevor er in Richtung der Stallungen davonstapfte. Als er einige Minuten später mit gepackten Sachen wieder herauskam, unterdrückte Gabe ein Lächeln. Das war seine Chance.
General Waverly sah dem Mann hinterher, bis er zum Tor hinaus war, dann wandte er sich seiner Enkelin zu. Er hielt inne, als er Gabe erblickte, und sein ohnehin schon verdrossener Gesichtsausdruck wurde noch verdrossener, als er auf sie zuging. »Ziemlich früh für einen Morgenbesuch, finden Sie nicht, Sharpe?«
»Sie beide scheinen ja schon eine ganze Weile auf den Beinen zu sein.«
»Das hier ist ein Gestüt, auf dem gearbeitet wird.« Mit einem sichtbar steifen Arm öffnete Waverly das Tor der Koppel. »Wir haben nicht die Zeit, uns den halben Vormittag im Bett zu lümmeln, wie ihr Londoner. Wir haben mehr Arbeit, als wir erledigen können.«
»Das scheint mir auch so. Und wenn Sie es mir gestatten, würde ich Ihnen gern dabei helfen.«
Der General sah ihn misstrauisch an. »Was meinen Sie damit?«
»Da Sie offenbar seit heute Morgen einen Stallburschen weniger haben, schlage ich vor, dass ich Ihnen aushelfe.«
Waverly
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