Eine lange dunkle Nacht
Sie brauchte unbedingt etwas gegen die Schmerzen.
»Ich will diese Stelle erzählen«, sagte Free. »Du würdest sie bloß versauen, Poppy. Du würdest alles verdrehen und Teresa einen falschen Eindruck vermitteln.«
»Na schön«, sagte Poppy. »Erzähl uns Johns Version jener Nacht.«
»Gleich«, sagte Free. »Erst muß ich erklären, wie es überhaupt dazu kam, daß John in jener Nacht dort war. Hör gut zu, Poppy. Vielleicht kannst du ja was lernen.«
»Das bezweifle ich«, murmelte Poppy.
11. Kapitel
»John war mittlerweile heroinsüchtig. Wie gesagt, seine Sucht finanzierte er mit dem Knacken von Automaten. Alles drehte sich um Heroin. Die Droge war Mittelpunkt seines Lebens, und die meiste Zeit des Tages ging dafür drauf, die Kohle für den nächsten Schuß zu organisieren. Er hatte zu fixen begonnen, weil die Wirkung wesentlich stärker war als beim Rauchen oder Sniefen, und doch brauchte er ständig eine höhere Dosis, damit der erlösende Rausch eintrat. Wie alle anderen Junkies machte er einen Schritt vor und zwei zurück.
Die Schmerzen in seiner Hand verschwanden nur, wenn er breit war, und da er nicht vierundzwanzig Stunden am Tag breit sein konnte, ging er mehrmals täglich durch die Hölle. Die Ärzte hatten bei seiner Hand gepfuscht, und er war extrem anfällig für Infektionen, weswegen er sich neben Heroin regelmäßig Antibiotika besorgen mußte. Inzwischen kostete ihn seine Sucht fünfhundert Dollar pro Tag. Weißt du, wie viele Quarters das sind? Zweitausend. Dafür muß man schon einige Automaten knacken. Das alles ergab eigentlich keinen Sinn mehr; er mußte sich eine lukrativere Einnahmequelle suchen.
John fing mit Einbrüchen an. Er wurde richtig gut darin, geeignete Objekte auszuspähen. Er brach nie irgendwo ein, wo er Menschen vermutete. Natürlich verschätzte er sich hin und wieder und wurde dann beinahe über den Haufen geschossen. Aber er selbst hatte nie eine Waffe dabei. Er wollte niemanden verletzen, und bis auf Mr. Sims hatte er das auch nie getan.
Bei seinen Einbrüchen behinderte ihn seine kaputte Hand. Es gab zu viele Aufgaben, für die zwei gut funktionierende Hände notwendig waren, zum Beispiel ein Schloß aufzubrechen oder ein klemmendes Fenster hochzuschieben. Wenn er ins Haus gelangte, konnte er nur kleine Dinge mitnehmen: Schmuck, Uhren, Geld. Gelegentlich ließ er eine tragbare Stereoanlage oder einen Videorecorder mitgehen. Er wurde das Zeug nur zu Schleuderpreisen los, weil er mit den miesesten Hehlern der Stadt Geschäfte machen mußte. Sein Dealer, selbst heroinsüchtig, schlug ihm vor, er solle ein bißchen herumdealen, um sich über Wasser zu halten. Doch John war kein Dealer – das war nicht sein Stil, außerdem war es gefährlich. Er versuchte es ein paar Wochen, als er mitten in der Nacht von einem Kerl mit einem Springmesser überfallen wurde. John verlor seinen gesamten Drogenvorrat und einen halben Liter Blut. Der Kerl hatte John den Bauch aufgeschlitzt. Mit seinen Eingeweiden in Händen schleppte John sich ins Krankenhaus. Es brauchte vierzig Stiche, um ihn wieder zusammenzuflicken. John war von den Grausamkeiten des Lebens längst abgehärtet, dennoch jagte ihm dieser Vorfall eine Höllenangst ein. Er verlegte sich wieder auf Einbrüche. Mann, das Leben war zum Kotzen, echt.
Nicht viel später mußte John wieder ins Krankenhaus. Er hatte Gelbsucht – was zweifellos an einer verdreckten Spritze lag. Er wollte nicht wieder ins Krankenhaus, doch sein Arzt meinte, er würde sterben, wenn er sich nicht einliefern ließe – und so, wie sich John fühlte, hatte der Quacksalber wahrscheinlich recht. John war nie im Leben so krank gewesen. Jetzt konnte er keine drei Schritte machen, ohne stehenzubleiben und zu verschnaufen.
Doch im Krankenhaus fingen die Probleme erst richtig an. Dort bekam er nämlich kein Heroin. Man gab ihm nicht mal Methadon gegen die Entzugserscheinungen. Der Arzt erklärte ihm, daß man, um Methadon zu bekommen, an einem speziellen Therapieprogramm teilnehmen mußte. Und dem konnte man nur beitreten, wenn man nicht im Krankenhaus lag. John war geschockt. Er litt an Gelbsucht und am Entzug. Und um allem noch eins draufzusetzen, meldete sich sein alter Freund Mr. Drei-Finger-Hand. John konnte die Schmerzen nicht aushalten, er schaffte es einfach nicht. Und es lag nicht an ihm. Schmerz läßt selbst den stolzesten Mann demütig zu Kreuze kriechen. Schmerz kann aus einem guten Menschen einen schlechten machen.
Eines Abends,
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