Eine Leiche zu Ferragosto
gerade alles wieder aufräumen und gehen. Keine Ahnung, irgendwie bin ich nervös geworden.«
»Vielleicht, weil das schlechte Gewissen Sie plagte.«
»Da kann ich ja nur lachen. Einer Toten die Idee stehlen! Wem soll sie denn noch nützen, den Erben etwa? Was könnten die schon damit anfangen! Ich aber hätte einen Krimi daraus gemacht und ihn ihr gewidmet, ist ja klar! Aber das verstehen Sie wohl nicht.«
Nein, das verstanden sie wirklich nicht, deshalb brachten sie ihn ungeachtet seiner empörten Proteste in die Kaserne.
Um halb zwölf schleppte Santomauro sich unter der sengenden Sonne über einen Pfad, der zu den Ausgrabungen hinaufführte. Nach kurzem Hin und Her hatte er beschlossen, dass es besser sei, die Anweisungen des geheimnisvollen Informanten, Mann oder Frau, zu befolgen. Niemals hätte er genug Leute zusammenbekommen, um das gesamte Ausgrabungsgebiet zu überwachen, und außerdem konnte der Anrufer sich gleich nach ihrem Telefonat dort postiert haben. Die »Akropolis von Velia« war gewiss nicht uneinnehmbar, wenn man sich im Dunkel der Nacht anschlich, und wer sich gut genug auskannte, würde immer reichlich Winkel und Büsche als Versteck finden. Santomauro war erst ein Mal hier gewesen, kurz nach seinem Umzug hatte Manfredi ihn fast gewaltsam hinaufgeschleppt, froh, endlich mal jemandem die Sehenswürdigkeiten der Gegend zeigen zu können. Er hatte vage, konfuse Erinnerungen daran und das bleibende Gefühl von großer Anstrengung.
Als er nun den staubigen Pfad bergan lief, wusste er auch wieder, warum. Vor ihm lag das verlassene, sonnenverbrannte Gelände, unwegsame Pfade schlängelten sich zwischen Steinen und Brombeerhecken hindurch. Den wenigen Schatten von ein paar Linden und Maulbeerbäumen hatte er schon hinter sich gelassen. Vor ihm nur kümmerliches Unkraut, in der Sonne vertrocknetes Gras, Metallgerüste, Felsen und Kakteen mit zusammengerollten Blättern. Santomauro schwitzte in seinemdünnen T-Shirt, er bereute es, keine Kappe aufgesetzt zu haben, und verstand allmählich, warum der Anrufer ausgerechnet diesen Ort ausgesucht hatte, der ihm zunächst wenig geeignet erschienen war. Wer um Himmels willen würde schon freiwillig um zwölf Uhr mittags an einem heißen Augusttag die Ruinen von Velia besichtigen? Nur er und eine Handvoll fröhlicher Japaner, die selbst aus der Ferne leicht zu erkennen waren. Der Anrufer konnte ganz beruhigt sein, er würde ihn oder potentielle andere Carabinieri aus seinem Versteck heraus problemlos entdecken, von seinem Hinterhalt irgendwo dort oben in den Terrassen um den großen Turm herum, der schwarz vor dem weißen Himmel aufragte.
Die Ebene vor ihm flimmerte in der Mittagshitze wie eine Fata Morgana, ein paar Olivenbäume streckten mitleidig ihre knotigen Arme zu einer kostbaren Schattenoase aus. Um ihre Stämme herum aufgestellte Bänke luden den erschöpften Wanderer zu einer kurzen Verschnaufpause ein. Santomauro widerstand der Versuchung, sich ermattet niedersinken zu lassen.
Die Ruinen wurden nun zahlreicher, Felsbrocken lagen verstreut, als hätte ein Riese damit um sich geworfen. Die Eidechsen flitzten zwischen den im Laufe der Jahrhunderte verwitterten, stufenförmig geschichteten Steinquadern umher. Der Ort strahlte eine wilde Schönheit aus, und Santomauro bedauerte, dass er auch bei seinem zweiten Besuch nicht in besserer Verfassung war als beim ersten. Früher oder später wollte er hierher zurückkommen, vielleicht mal am späteren Nachmittag.
Unter ihm die Ebene, die er mühevoll überquert hatte, dahinter Bäume, Häuser und in der Ferne das Meer. Er erklomm die letzten Stufen.
Und dann, endlich, eine Wiese von geradezu surrealem Grün, eine Oase der Frische in dieser Steinwüste. Samten wogte das dichte Gras in einer Brise, die wer weiß woher kam. Am liebsten wäre er barfuß darübergelaufen. Der kreisrunde Turm erhob sich wie ein Schmuckstück aus dem Grün, seine massiven Ausläufer verschmolzen mit den umliegenden Felsen. Der Maresciallo ging vorsichtig um ihn herum, um nicht in eine der Felsspaltenzu treten, die sich immer wieder überraschend auftaten.
Hier waren sie verabredet.
Die Stimme hatte ihm eine Öffnung in der Mauer beschrieben, nur zu erreichen, indem man sich in einiger Entfernung der Wendeltreppe hinaufstemmte, die metallen in der Sonne blitzte und für Touristen ohnehin gesperrt war. Es gab weit und breit keine Aufseher. Vorsichtig blickte Santomauro sich um und schwang sich dann recht agil auf den
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