Eine Leiche zu Ferragosto
noch einmal bieten, genau das richtige Durcheinander und Menschgewühl, die es brauchte.
Die Sache wurde von Tag zu Tag unangenehmer und gefährlicher, der Moment war gekommen, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Nur noch wenige Stunden …
An Iolanda hatte er schon so lange nicht mehr gedacht, dass er für einen Moment nicht wusste, wer zum Teufel am Telefon war. Es verstrichen ein paar peinliche Sekunden, dann erkannte er ihre quäkende Stimme.
Sie rief an, um zu hören, wie es ihm ging, immerhin waren sie ja noch Mann und Frau, oder? Ihr ging es ganz hervorragend, danke, wieder Single, ja, aber glücklich, gerade zurück vom Sardinienurlaub. Traumhaftes Meer, aber da könne er sich in Pioppica ja auch nicht beklagen. Überhaupt, sie hätte nicht übel Lust, wie wär’s, wenn sie runterkäme und zwei Fliegen mit einer Klappe schlüge, Ende des Sommers noch einmal ein bisschen Sonne und Meer tanken – »das Cilento ist doch ganz entzückend im September, nicht wahr? So ruhig, entspannt, so erfrischend unmondän, genau das, was ich brauche« – und gleichzeitig kontrollieren, ob Simone auch ein braver Junge wäre. Natürlich nur, wenn es ihm recht wäre.
Santomauro war von einem auf den anderen Moment am ganzen Körper in kalten Schweiß gebadet.
Nicht Iolanda. Alles, nur nicht Iolanda. Er fühlte sich vollkommen außerstande, sie zu ertragen, stellte er mit dankbarem Erstaunen fest. Der Gedanke an sie löste bei ihm nicht mehr das wunde Gefühl der Leere aus, an das er sich gewöhnt hatte wie an eine schmerzhafte Karies, die sich immer auf den gleichen Reiz an der gleichen Stelle meldete. Nein, jetzt empfand er nur noch Langeweile, eine befreiende, wohlige Langeweile, und einzig das Wissen um die drohende Gefahr ihrer Anreise hinderte ihn daran, sie in vollen Zügen auszukosten.
Er verhedderte sich in fadenscheinigen Ausreden, die Arbeit, ein Urlaub mit Freunden, das bevorstehende schlechte Wetter, doch am Ende ärgerte er sich über seine Feigheit und sagte ihr einfach, dass es ihm nicht passte. Sie war tödlich beleidigt, und die letzten Worte, die Santomauro von ihr hörte, bevor die Leitungbrüsk unterbrochen wurde, waren: »Das hättest du mir auch gleich sagen können, dass du eine Neue hast!«
Die Erleichterung und die Absurdität der Szene brachten ihn fast zum Lachen.
Eine Neue. Ja, irgendwie hatte er tatsächlich eine Neue.
Es war fast ein Zufall, dass er bei den Buonocores landete. Nach dem Gespräch mit Iolanda hatte er der Kaserne und diversen Stapeln mit Schreibkram den Rücken zugewandt und war in den Wagen gestiegen, um seine hin und her flatternden Gedanken wieder zur Ruhe zu bringen. Unversehens fand er sich erneut auf den Serpentinen wieder, die von Pioppica Sopra hinunter nach Pioppica Sotto führten, wo die letzten Festvorbereitungen in vollem Gange waren.
Auch in Bezug auf ihre Schutzheiligen gingen die zwei Dörfer verschiedene Wege, natürlich in harter Konkurrenz.
Der Schutzpatron von Pioppica Sopra war der heilige Cozio, ein unbekannter christlicher Märtyrer, der seinen Festtag am 24. August hatte, kurz vor Ferienende.
Pioppica Sotto konterte mit der heiligen Atenaide, Jungfrau und Märtyrerin, bekannt vor allem dafür, dass sie die Schutzheilige der Sammler von Kaktusfeigen war, die zweckmäßigerweise drei Tage vor dem heiligen Cozio geehrt wurde, und der Kampf zwischen ihren Anhängern wurde von Jahr zu Jahr verbissener. Wer gab mehr für das Feuerwerk aus und hatte am Ende das schönere Abendspektakel, wer hatte den gleißendsten Lichterschmuck und die beste Livemusik, wer sammelte mehr Spenden mit seiner Heiligenversteigerung, und so weiter und so fort, alles und jedes diente dem lokalen Kleinkrieg.
In diesem Jahr hatte Pioppica Sotto ein echtes Ass im Ärmel, zwei sogar, wenn man hinzuzählte, dass es die Musiker aus Cavaso del Tomba für sich gewonnen hatte, deren Dirigentin, die überaus bekannte und beliebte üppige Blondine Katia Coscialunga Tortora, ihr Orchester am liebsten im hochgeschlossenen Seidenkleid dirigierte, welches auf der Rückseite allerdingseinen Schlitz aufwies, für den die Bezeichnung schwindelerregend eine freundliche Untertreibung war. Unnötig zu erwähnen, dass die Plätze in der ersten Reihe immer heißbegehrt waren.
Die zweite Überraschung des Organisationskomitees von Pioppica Sotto war von ganz anderer Natur und anderer Wirkung, weshalb das Geheimnis auch von allen Beteiligten gehütet wurde wie der sprichwörtliche Augapfel. Am Tag
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