Eine Leiche zu Ferragosto
zu schätzen gelernt hatte, nachdem er sich anfangs vor dem Anblick des rosigen Gewimmels geekelt hatte.
Sie sprachen nicht viel, beide mochten das angenehme und tröstliche Schweigen des anderen. Sie saßen an der frischen Luft vor ihrem kleinen Häuschen, betrachteten die Hühner, die um sie herumgluckten, und genossen die Aussicht auf die sonnenverbrannten Berghänge, die bis ins Meer abfielen. Im Winter saßen sie drinnen vor dem Kamin. Manchmal, ohne dass sie sich vorher abgesprochen hätten, stellte die Architektessa den kleinen Strohstuhl vor dem Kamin bereit. Santomauro ließ sich darauf nieder, so dass seine Knie fast den Boden berührten, sie nahm eine alte Schere und begann das Ritual. Nacheinander benutzte sie verschiedene Instrumente, murmelte dabei leise vor sich hin und gähnte auffällig. Er gähnte mit ihr, und sie sagte ihm dann, dass er zu viele Nächte damit geschlafen habe. Wenn sie das Auge von ihm genommen hatte, stand der Maresciallo auf und ging. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, doch danach fühlte er sich besser. Sie war die letzte Hexe des Dorfes, immer schwarz angezogen, klein und rund wie ein Apfel mit einem schönen Lächeln unter einem Hauch von Oberlippenbart. Sie war die Person, die Santomauro am meisten mochte, und die einzige, der er sich anvertraut hätte, wenn es etwas zum Anvertrauen gegeben hätte.
Pippo Mazzoleni ertappte sich manchmal dabei, dass er darüber nachgrübelte, wie der Mord wohl vonstattengegangen sein könnte. In seinem Hirn liefen dann immer neue Klappen derselben Szene ab, verschiedene Versionen, mit denen er sich beschäftigte, bis das Schamgefühl ob dieser krankhaft voyeuristischenAnwandlungen seine unerschöpfliche Phantasie in ihre Schranken wies.
Er hatte kein Problem, sich seine Frau in der Rolle des Opfers vorzustellen. Manchmal sah er Elena mit diesem verächtlichen Lächeln im Gesicht, das sie immer dann aufsetzte, wenn ihr etwas peinlich oder sie unglücklich war, sah sie in der Küche stehen, wo sie ihrem Aggressor etwas zu trinken angeboten hatte und etwas unrettbar Grausames sagte, während sie ihm achtlos den Rücken zudrehte. Er sah, wie sich das Fleischermesser jäh in ihren Nacken grub, immer öfter, immer schneller, und sie zu Boden fiel, in ihr eigenes Blut, ohne nur einen einzigen Klagelaut ausstoßen zu können.
So hätte es ablaufen können. Vielleicht war es so gelaufen.
Oder eine andere Version, Elena wurde in dem großen Wohnzimmer mit all den Teppichen und dem cilentanischen Kunsthandwerk angegriffen, versuchte verzweifelt, durch die großen Fenstertüren zu flüchten, doch zu spät, die Hand des Mörders packte ihre schwarzen Haare und zerrte sie zurück, der erste Messerstich riss ihr die Kehle auf, dann traf er den Unterleib, die Wangen und die im letzten Verteidigungsversuch erhobenen Finger.
Vielleicht war es so gelaufen.
Oder sie war im Bad überfallen worden oder im Schlafzimmer, oder in irgendeinem anderen Zimmer. Vielleicht war es ein jäher Überraschungsangriff gewesen, wild und lähmend, oder der Mörder hatte sich ihr mit langsamen Schritten genähert, die blinkende Klinge erhoben, und das Opfer war mit ebensolchen Schritten zurückgewichen, den Mund zu einem stummen Schreckensschrei aufgerissen.
Pippo wusste nicht, wie die Tat begangen worden war, und ihm war klar, dass er es nie erfahren würde. Vor allem quälte ihn, nicht zu wissen, wo es geschehen war, und das war auch einer der Gründe, warum er das Haus ohne Bedauern verkaufen wollte. Er hatte nirgendwo Blutspuren gefunden, und obwohl die Vernunft ihm sagte, dass das Gemetzel im Freien stattgefunden haben musste, auf dem fetten, humusreichen Boden, der alleKörpersäfte aufgesogen hatte, waren seine Gedanken nicht im Zaum zu halten. Im Dunkel der Nacht stellte er sich große Blutlachen vor, die dem Tageslicht verborgen blieben und plötzlich in der Finsternis des Wohnzimmers oder des Zimmers, in das er schließlich zum Schlafen umgezogen war, aufschienen.
Was er wiederum klar vor Augen hatte, war das Danach, die Details, die der extrem widerspenstige de Collis bei ihrem Gespräch dann doch hatte durchblicken lassen. Die Fingerkuppen, säuberlich am ersten Fingergelenk abgetrennt, die Zehen, mit gleicher Präzision und Sorgfalt zerlegt. Das Wangengewebe, die Nase, die Lippen, die Ohren, Augen und Brustwarzen, alles weggeschnitten, was diese Frau einzigartig gemacht hatte, auf einen unförmigen Klumpen reduziert, einen ekligen Haufen Fleisch
Weitere Kostenlose Bücher