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Eine Leiche zu Ferragosto

Eine Leiche zu Ferragosto

Titel: Eine Leiche zu Ferragosto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Fiammetta Lama
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allem anderen.
    Was tun? Was tun? Sie kaltblütig auszuschalten schien nicht in Frage zu kommen. Vielleicht musste er eine Provokation abwarten oder diese künstlich herbeiführen. Doch er wollte nicht ihren Blick auf sich spüren, während er ihr den tödlichen Schlag versetzte. Nein, lieber ein Überraschungsangriff, bei dem sie keinen Verdacht schöpfen konnte.
    Er lief weiter, doch die Schönheit des Tages war ruiniert. Weiterhinten, Richtung Ogliastro, zogen sich dicke schwarze Wolken zusammen.
     
    »Olimpia, sieh mich an.«
    Sie blickte stur auf die Wand. Mit einem leisen Seufzer betrat Lillo ihr Zimmer. Seit Tagen hatten sie kaum miteinander geredet, und es fiel ihnen schwer, in der Öffentlichkeit den Schein zu wahren. Sie richtete kein Wort an ihn außer für die notwendigsten Dinge, und doch spürte Lillo immer noch ihren feuchten und anbetenden Blick auf sich, wenn sie dachte, dass er es nicht bemerkte, wie bei einem Schoßhund, dem man zu oft Tritte versetzt hatte.
    Darum ging es also nicht. Im Übrigen hielten auch all die Annehmlichkeiten, die netten Gesten, seine Lieblingsspeisen, der gebügelte Schlafanzug, die frisch gewaschenen, duftenden Hemden, an wie zuvor.
    Nur dass sie nicht mit ihm sprach, und merkwürdigerweise war ihm das auf Dauer weniger eine Erleichterung als zusätzliche Belastung. Manchmal glaubte er aus ihrem Schweigen einen Vorwurf herauszuhören, der so mächtig widerhallte, als hätte sie ihm eine gemeine Anschuldigung ins Gesicht geschrien.
    Er begann sie auszuspionieren, fast unabsichtlich. Am Morgen hatte er beobachtet, wie sie beim Einräumen der Wäsche zärtlich mit der Hand über eines seiner Hemden strich und dicke Tränen auf den Kragen fielen. Bei Tisch war sie schweigsam wie immer, eine hässliche, traurige Statue, die ihm die Freude an den Nudeln mit Zucchini verdarb. Gern wäre er abgereist, aber er wusste, dass er das nicht tun konnte, nicht ohne vorher mit ihr gesprochen zu haben. Und dann gab es ja immer noch die Möglichkeit, auch wenn er es sich selbst nicht eingestand, dass Santomauro ihm nahelegen würde, sich nicht aus Pioppica zu entfernen, zumindest für eine Weile.
    »Olimpia, bitte, wir müssen reden.«
    Er hatte sich vor ihr aufgebaut und die Frau sah widerstrebend hoch. In ihrem Blick las er Schmerz, Angst, Unsicherheit und noch etwas anderes, das er zunächst nicht benennenkonnte, eine Art undefinierbaren Stolz. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, dann spürte er, wie seine Glieder zu Eis erstarrten: Es war Zufriedenheit, die stolze Befriedigung eines Menschen, der dich liebt und etwas für dich getan hat, was du ihm niemals wirst zurückgeben können.
    Er wich einen Schritt zurück: »Was hast du getan?«, murmelte er bestürzt. »Bei Gott, was hast du getan?«
     
    Sie trafen sich in einem der Seitensträßchen, die vom Hauptplatz in Pioppica Sopra hinauf in die Berge führten. Der Ausdruck Sträßchen war noch übertrieben, vielmehr handelte es sich um eine schmale Gasse, die sich mutig zwischen den alten, efeubewachsenen Mauern hindurchschlängelte. Es war kühl, die Sonne reichte nicht bis hier herab, und die holprigen Pflastersteine wirkten immer irgendwie feucht.
    Santomauro hatte den Weg vor einiger Zeit mehr durch Zufall entdeckt, und hin und wieder genehmigte er sich eine Auszeit hier, nicht zu oft, um den Zauber, den die kühle Stille auf ihn ausübte, nicht abzunutzen.
    Es war ein kurzer Spaziergang, kaum fünf Minuten, und man gelangte auf einen winzigen Platz mit einer Bank und einem Brunnen. Zwischen der ehemaligen Kirche und dem baufälligen Palazzo, die die Piazzetta einrahmten, lag ein Garten, üppig und wild wie ein Dschungel, den nur ein kunstvoll geschmiedeter, völlig verrosteter Gitterzaun von der Bank trennte.
    Santomauro verlor sich in den metallenen Kringeln und Bögen des Zauns, folgte mit dem Blick den Arabesken, die sich dahinter in Hunderten verschiedenen Grüntönen fortsetzten, wie kein Mensch sie jemals hätte ersinnen können. Er stellte sich vor, wie er eines Tages in den Garten treten und dort einschlafen würde oder, etwas prosaischer, dass er genug Geld hätte, um ihn zusammen mit dem heruntergekommenen Palazzo und der Kirche zu kaufen, dabei wusste er nur zu gut, dass der Zauber dieses Ortes nicht fassbar war und dass man ihn sich mit Geld nicht mehr oder besser zu eigen machen konnte als so.
    Auf seinen Spaziergängen war ihm nie jemand begegnet, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, immer war das Gässchen

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