Eine Leiche zum Nachtisch (German Edition)
stand nicht eher still, bis er an seinem Hotel angekommen war
Die Konkurrenz schläft nicht
August Huber kannte das Hotelgewerbe im Schlaf. Von frühesten Kindesbeinen an war er damit vertraut gemacht worden, er hatte es quasi mit der Muttermilch eingesogen. Seine Mutter war Zimmermädchen gewesen, sein Vater Lift-Page in einem Vier-Sterne-Hotel in München, und Huber selbst war in diesem Hotel geboren worden, wie seine Mutter immer wieder stolz betonte. Zwischen den teuren Laken im Wäschezimmer, bevor der große Ansturm der Gäste zum Oktoberfest erfolgte, tat er seinen ersten Schrei, wobei ihn seine Mutter schnell in ein Handtuch wickelte und auf die Waschmaschine legte, damit deren beruhigendes Wackeln ihn in den Schlaf wiegte, während sie sich um die Zimmer der Gäste kümmern musste. Das jedenfalls besagte die Familienlegende, die Huber immer wieder all seinen Gästen erzählte. Fakt war auf jeden Fall, dass das erste Wort, das er jemals gesprochen hatte, »Rezeption« war. Und sobald er laufen konnte, flitzte Huber wie ein Wirbelwind von Zimmer zu Zimmer und brachte den Gästen Handtücher und Gute-Nacht-Hupferl oder füllte die Minibar auf. Die Gäste erzählten ihm von der großen weiten Welt, so dass er nie das Bedürfnis verspürte, das Hotel zu verlassen und andere Länder zu bereisen. Als er in die Schule ging, machte er seine Hausaufgaben stets mit seinen besten Freuden, den Jungs, die den Zimmermädchen die Wäsche abnahmen und in die Wäscherei im Keller brachten und dann die saubere Wäsche wieder zurück zu den Mädchen trugen. Im Hotel konnte er machen, was er wollte, hier war er sicher, dachte seine Mutter und konnte beruhigt ihrer Arbeit nachgehen, während ihr Sohn immer mehr darüber lernte, wie ein Hotel funktionierte und am besten zu führen war.
Als er sechzehn wurde, war er bereits so weit, dass er dem Geschäftsführer Vorschläge machte, wie das Hotel Geld einsparen konnte, mit dem Erfolg, dass sein Vater seinen Job verlor und dafür eine blecherne Stimme im Lift den Gästen mitteilte, wie sie zu ihrem Zimmer gelangten.
Seine erste Liebe war ein Küchenmädchen, fünf Jahre älter als er, das ihn mit allerlei Gemüse regelmäßig um den Verstand brachte. Als er das Hotel das erste Mal in seinem Leben verlassen musste, weil er auf die Hotelfachschule ging, hatte er Tränen in den Augen, und als er wiederkam, mit einem hervorragenden Diplom in der Tasche, weinte er bitterlich, weil er feststellen musste, dass von seinem Hotel, so wie er es kannte, nicht mehr viel übrig war. Der Geschäftsführer hatte gewechselt, die Gäste ebenfalls. Es gab keine Wäschejungs mehr, keine Küchenmädchen, die mit Gemüse umzugehen wussten, sondern nur noch wenig, aber dafür extrem gestresstes Personal. Die Gäste erzählten nicht mehr von der großen weiten Welt, weil sie sie nie gesehen hatten, sondern nur aus dem Fernsehen kannten, und seine Mutter war jetzt im Wellnessbereich für die Anmeldungen und Koordination der Massagen verantwortlich. Nichts war mehr so, wie er es kannte und liebte. Huber versuchte, in dem Hotel eine Stelle zu bekommen, doch er wurde nicht glücklich damit. Zwei Jahre arbeitete er an der Rezeption in der Nachtschicht, bis er beschloss, sein eigenes Hotel aufzumachen. Er schuftete Tag und Nacht, arbeitete in drei Hotels gleichzeitig als Kofferträger, Kellner und Rezeptionist, bis er endlich genügend Geld zusammengespart hatte, um mit einem eigenen kleinen Haus liebäugeln zu können. Er kämpfte wie ein Löwe um Kredite und staatliche Unterstützung, bis sein Traum wahr wurde. Hier, am Elsberg, erwarb er das heruntergekommene Hotel eines alten Einsiedlers, das seit ungefähr sechzig Jahren keinen Gast mehr gesehen hatte. Er steckte jeden Cent, den er besaß, in die Renovierung des Gebäudes, den es auch nötig hatte. Und als es endlich bereit zur Eröffnung war, verwendete er die restlichen Cent dafür, den Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Er liebte seinen Beruf, er liebte sein Hotel. Und er liebte jeden einzelnen Gast. Und wenn ein dahergelaufener Kerl wie Simon Neumayer, dem das Hotelgewerbe einfach so in den Schoß gefallen war, ihm Steine in den Weg legen wollte, konnte August Huber richtig ärgerlich werden. Und nicht nur das.
Wütend ging er zurück in den Saal, wo ihn seine Gäste mit verhaltenen Mienen begrüßten. Simons Worte hatten offenbar ihren Eindruck nicht verfehlt. Sie glaubten ihm fast, dass ein toter Pianist in der Schlucht
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