Eine letzte Breitseite
Farquhars Onkel, Sir Henry Longford, war Bolithos erster Kommandant gewesen, als er, zwölf Jahre alt, mit ehrfurchtsvollem, erschrockenem Staunen an Bord des Achtzig-Kanonen-Schiffes
Manxman
gekommen war. Vierzehn Jahre später hatte ihm Longford, inzwischen Admiral, eine Fregatte gegeben, der sein Neffe als Midshipman zugeteilt wurde. Und jetzt war Farquhar, Anfang Dreißig und Fregattenkapitän, wieder bei ihm. Wenn er den Krieg überlebte, würde er zu hohem Rang aufsteigen, in der Flotte wie in der Heimat. Bolitho hatte von Anfang an nicht daran gezweifelt, und Herrick hatte sich nie damit abgefunden.
Wieder trillerten die Pfeifen, und George Probyn von der
Ni
c
a
tor,
unordentlich wie immer, schob sich durch die Pforte.
Auf der anderen Seite des Achterdecks stand Pascoe bei Luce und seinen Signalgasten; und Bolitho fand, daß er selbst ebenso ausgesehen haben mußte, wenn er als junger Leutnant zugesehen hatte, wie irgendwelche unerreichbaren, erhabenen Vorgesetzte kamen und gingen.
Mit einem Seufzer schritt er zur Kampanjeleiter. Eben sagte Herrick: »Wenn Sie bitte in meine Kajüte kommen wollen, Captain Probyn. Der Kommodore will erst Captain Farquhar sprechen.« Farquhar zog die Brauen leicht hoch. »Ach? So dienstlich, Captain Herrick?«
»Jawohl«, antwortete Herrick kalt.
Bolitho beobachtete Farquhar beim Eintreten. Wachsam, im Zweifel vielleicht, wie sein Kommodore reagieren würde; er spürte wohl auch, daß etwas Besonderes in der Luft war. Doch im ganzen blieb er durchaus selbstsicher.
»Hier mein Bericht, Sir.«
Bolitho deutete auf einen Stuhl. »Gleich. Unser Angriff war, wie Sie bemerkt haben werden, erfolgreich. Wir haben eine gute Prise, ein weiteres spanisches Schiff aus der Bucht ist auf dem Weg nach Gibraltar. Vor vier Tagen hatten wir Feindberührung: zwei französische Linienschiffe. Wir haben beide zerschossen und dann die Aktion abgebrochen. Unsere Verluste waren gering – verhältnismäßig.«
Farquhar lächelte gelassen, sah aber nicht mehr ganz so selbstbewußt aus. »Ich handelte nach Ihren Instruktionen, Sir. Die
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zar
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meldete mir einen Konvoi von fünf Schiffen, und wir nahmen die Verfolgung auf. Unter diesen Umständen…«
»Das war durchaus korrekt. Haben Sie sie erwischt?«
»Captain Javal konnte ein paar Schiffe beschädigen, Sir, aber nur eins zum Beidrehen zwingen. Unglücklicherweise konnte ich nicht rechtzeitig zur Stelle sein, da ich meine Großmaststenge in einer Sturmbö verloren hatte. Die
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griff an und feuerte auf Grund eines, äh, mißverstandenen Signals eine halbe Breitseite in das französische Schiff, so daß es zu sinken begann.«
»Und dann?«
Farquhar zupfte ein Kuvert aus seinem eleganten Rock. »Dem Führer meines Enterkommandos ist es gelungen, diesen Brief aus dem Panzerschrank des Kommandanten zu retten, ehe das Schiff kenterte und sank. Er ist an einen gewissen Yves Gorse adressiert, der anscheinend in Malta wohnt. Dieser Gorse soll Ankermöglichkeiten schaffen.« Er warf den Brief auf den Tisch. »Für normale Handelsschiffe, oder so ähnlich wird es ausgedrückt. Ich nehme an, der Text ist verschlüsselt; aber der Kommandant war ein solcher Dummkopf, daß ich nichts aus ihm herausbringen konnte. Das kleine Geleit kam aus Marseille. Eskorte war eine französische Korvette, nicht weil sie sich irgendwie von uns bedroht fühlten, sondern wegen der Berberpiraten und dergleichen.« Das Wichtigste hob sich Farquhar bis zuletzt auf. »Mein Erster hat etwas herausbekommen, Sir. Ich habe mehrere französische Matrosen für meine Mannschaft gepreßt; und einer von ihnen hat gehört, wie einer der Überlebenden behauptete, dieser Brief sei auf persönlichen Befehl von Admiral Brueys an Bord gebracht worden!«
Überrascht sah Bolitho auf. Brueys war vielleicht der beste und fähigste Admiral der französischen Flotte. Vielleicht sogar aller Flotten.
»Das haben Sie gut gemacht.« Bolitho rieb sich die Hände an den Schenkeln trocken. »Dieser Gorse muß ein Spion oder Agent sein. Vielleicht haben die Franzosen einen Angriff auf Malta vor.«
»Oder auf Sizilien?« überlegte Farquhar stirnrunzelnd. »Bonaparte soll Absichten auf das Königreich haben. Sie sind im Frieden miteinander; aber wahrscheinlich denkt er, daß man sich im Kriege einen Luxus wie Neutralität nicht leisten kann – womit er meiner Ansicht nach recht hat.«
»Mag sein.« Bolitho versuchte, nicht an Herrick zu denken. »Wir segeln möglichst schnell nach Toulon
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