Eine Liebe fürs Leben
Versonnen dachte Charlie darüber nach, dass die Erfüllung, die sie in Riccardos Armen fand, unmöglich noch größer werden konnte. Zufrieden kuschelte sie sich an ihn und wäre womöglich sogar eingeschlafen, wenn er nicht in diesem Moment die Tür geöffnet und sich sanft von ihr gelöst hätte.
„Tut mir leid, aber irgendwas stimmt mit dem Scheinwerfer nicht. Ich schau kurz mal nach“, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. „Und dann bringe ich dich nach Hause, meine kleine Hexe.“
Er ließ die Tür halb offen stehen, und in diesem Augenblick sah sie es – ein paar Papiere, die ihm während ihres Liebesspiels aus der Hosentasche gefallen sein mussten. Darunter war auch ein zusammengefalteter Briefumschlag, auf dem in kühner Handschrift Name und Adresse seiner Mutter standen.
Charlie griff nach dem Umschlag. Plötzlich war sie hellwach. Rasch prägte sie sich Name und Adresse ein. Leider hatte sie weder Zettel noch Stift zur Hand, außerdem wusste sie nicht, ob Riccardo sie durch die Windschutzscheibe sehen konnte. Nervös schaute sie nach draußen und ließ sich dann auf den Sitz sinken, ehe er kurz darauf zurückkam.
„Alles klar. Was hast du da?“, fragte er.
„Das?“ Sie gähnte und setzte sich auf. „Oh, mir gehört das nicht. Es muss dir aus der Tasche gefallen sein. Hoffentlich hast du nicht noch mehr verloren …“ Sie begann, auf dem Boden zu suchen, während er die Papiere in seine Tasche stopfte.
„Vergiss es. Komm schon, Zeit zu fahren, meine Kleine.“
Charlie lächelte. Sie glaubte an das Schicksal, und das hatte ihr auf wundersame Weise die Adresse seiner Mutter zugespielt. Jetzt war sie in der Lage, ihm zu zeigen, dass er sich nicht zu schämen brauchte – ganz egal, wie sein familiärer Background aussah. Sie würde ihm nämlich einen Überraschungsbesuch abstatten!
2. KAPITEL
„Mum, ich mag diesen Schinken nicht! Warum kann ich keinen Schokoriegel haben? Alle in meiner Klasse bringen zum Lunch einen Schokoriegel mit! Ich bin die Einzige, die blöde Sandwichs aus Vollkornbrot dabeihat!“
„Vollkornbrot ist gut für dich.“ Charlotte Chandler nahm die üblichen Beschwerden ihrer achtjährigen Tochter nur mit halbem Ohr wahr. Sie war bereits zu spät zur Arbeit dran und wollte sich keinesfalls auf eine langwierige Debatte einlassen. „Wo sind deine Hausaufgaben, Gina?“
„In meinem Zimmer.“
„Dann lauf und hol sie, Honey! Wir müssen los!“
Charlotte wartete und tappte ungeduldig mit dem Fuß auf dem Boden auf, während sie gleichzeitig auf die Uhr blickte. Manchmal, in Momenten wie diesem, stellte sie sich die berühmte „Was-wäre-wenn?“-Frage, die ihr dann jedes Mal Kummer bereitete.
Was, wenn die Dinge vor acht Jahren anders gelaufen wären? Was, wenn sie nicht den dummen Versuch unternommen hätte, Riccardo mit ihrem Besuch zu überraschen? Was, wenn er sie genauso geliebt hätte wie sie ihn?
Meistens war ihr Leben jedoch, Gott sei Dank, viel zu hektisch und ausgefüllt, als dass sie trübsinnigen Gedanken hätte nachhängen können. Als Gina noch ein Kleinkind gewesen war, hatte Charlotte von morgens bis abends gearbeitet, um das Geld für Miete und Babysitter zu verdienen. Am Ende des Tages war sie dann immer wie tot ins Bett gefallen, viel zu erschöpft, um ein heimliches Bedauern zu nähren.
Doch als Gina älter wurde, gab es ruhigere Momente, und Charlotte empfand es als ungerecht, dass sie dann von Erinnerungen, die eigentlich längst vergessen sein sollten, wieder heimgesucht wurde.
Gina tauchte mit den Hausaufgaben in der Hand auf, und Charlotte strich ihr eine der dunklen Locken aus der Stirn. „Okay, bist du sicher, dass du jetzt alles hast?“
„Sicher!“
„Wie sicher?“
„Zweitausend Prozent!“ Sie grinsten sich an, denn sie genossen das kleine Spiel, das sie schon gespielt hatten, bevor Gina eingeschult worden war. Dann machten sie sich auf den Weg.
Wieder mal ein hektischer Montag. Bis zu Ginas Schule war es nur eine kurze Fahrt, doch dann eine wesentlich längere für Charlotte, die sie Richtung Norden führte und ihr genug Zeit gab, wieder all die verhängnisvollen Gedanken zu pflegen, die sie in letzter Zeit so plagten.
Natürlich wusste sie ganz genau, warum das ausgerechnet jetzt geschah. Es lag an Ben.
Weil sie endlich versuchte, ihr Leben wieder auf Kurs zu bringen. Weil sie zum ersten Mal seit acht Jahren mit einem Mann ausging und keine Ausreden mehr vorschützte, wenn ihre Freunde sie dazu
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