Eine Liebe fürs Leben
hast, auf den er seit drei Tagen wartet.“
Riccardo konnte nicht anders – das Bild, das sie zeichnete, war so komisch, dass er lachen musste.
„Vielleicht“, sagte er und schaute ihr tief in die Augen, „werde ich der Chef sein, der Befehle erteilt.“
„Oh nein, bitte werde nicht zu einem dieser langweiligen Büromenschen. Versprich mir das!“
„Okay, ich verspreche es. Ah, da kommt unser Essen. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Unser letzter gemeinsamer Abend, ehe ich meine Mutter besuche.“
Der Kellner servierte zwei Gerichte, bei deren Anblick einem das Wasser im Mund zusammenlief. Dennoch war Charlie abgelenkt. Sie fragte sich, was für ein Mensch seine Mutter wohl war. Bislang hatte Riccardo herzlich wenig über sein Privatleben preisgegeben. Oh ja, sie wusste, was ihn erregte, was er von Politik hielt, was sein Lieblingsessen war und welche Länder er bereist hatte. Aber sein familiärer Background blieb im Dunkeln.
„Erzähl mir von deiner Mutter“, forderte sie ihn auf. Da sie dabei nach ihrem Weinglas griff, entging ihr, wie sich für einen kurzen Moment ein Schatten über Riccardos Gesicht legte. Als sie erneut zu ihm herüberschaute, war er bereits wieder sein übliches heiteres Selbst.
„Sie ist eine typische italienische Mama und versucht, ihren kleinen Jungen vor der ganzen Welt zu beschützen.“ So viel entsprach zumindest der Wahrheit. Riccardo widmete sich dem Steak auf seinem Teller, einer netten Abwechslung zu der ganzen Pizza und Pasta, die er in letzter Zeit gegessen hatte. Er erzählte Charlie gerade genug von seiner Familie, um ihre größte Neugier zu befriedigen und dabei nicht direkt zu lügen. Erst als sie ihn rundheraus fragte, wo seine Mutter lebte, wich er ihr aus.
Charlie glaubte, den Grund dafür zu kennen. Es war keine Schande, eingestehen zu müssen, dass die Eltern in ärmlichen Verhältnissen lebten, doch sie konnte verstehen, dass es ihm schwerfiel. War es ihr nicht einst ganz genauso ergangen? Dass sie eine teure Privatschule besucht hatte, lag nur daran, dass sie im Alter von elf Jahren ein Stipendium bekommen hatte. Während der kompletten Schulzeit war ihr immer bewusst gewesen, dass sie mit den anderen Mädchen aus gutem Hause nicht konkurrieren konnte. Taktvoll wechselte sie daher das Thema, auch wenn dieser viel zu kurze Einblick in sein Privatleben an ihr nagte – würde sie ihn weiterverfolgen, könnte ihre Beziehung an Tiefe gewinnen, und danach sehnte sie sich.
Viel später erst wurde ihr bewusst, dass Liebe und Verzweiflung eine fatale Kombination waren.
Doch in jenem Moment war ihr das Gefühl von Bitterkeit noch vollkommen unbekannt. Sie genoss einfach nur das exzellente Essen und den teuren Wein und überlegte dabei, wie sie das Gespräch wieder auf ihn lenken konnte.
Doch Riccardo war ein gewandter Gesprächspartner. Er wollte nicht über sich reden, also tat er es auch nicht. Ihm blieben nur noch wenige Stunden in ihrer angenehmen Gesellschaft, und da fiel ihm weiß Gott Besseres ein, als Fragen zu beantworten. Ja, er hatte da eine ganz bestimmte Vorstellung, wie sie die Zeit stattdessen nutzen konnten …
Ihm gefiel dieser Gedanke. Weniger behagte ihm allerdings der Verdacht, dass er mehr vermissen würde als nur ihren willigen Körper. Doch zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben kam eine feste Bindung für ihn nicht infrage.
Sie konnten nicht zu ihr fahren, weil ihre beiden Mitbewohnerinnen zu Hause waren. Seine Wohnung schied ebenfalls aus, weshalb leider nur das Auto blieb. Doch wenn es um sexuelle Abenteuer ging, war er eigentlich für alles zu haben.
Und Charlie ebenso, wie er feststellte.
Nicht gerade der gemütlichste Ort, dachte Charlie, aber Not macht erfinderisch, und sie sehnte sich einfach danach, ihn erneut zu berühren, ehe er zu seiner Mutter fuhr. Deshalb gab sie auch nicht den Hauch eines Protests von sich, als er in einen Feldweg einbog und den Motor abstellte.
„Du hast etwas wiedergutzumachen“, murmelte Riccardo leise, während er sich wünschte, er würde ein halbwegs anständiges Auto fahren, anstatt dieser Schrottlaube, die er sich passend zu seiner Rolle zugelegt hatte.
„Was soll das heißen …?“
„Das heißt, dass ich dich am Pool befriedigt habe ….“
„Oh ja, das hast du wirklich.“ Allein bei der Erinnerung wurde ihr ganz heiß.
Sie liebten sich mit der Kreativität zweier Menschen, die den Körper des anderen auf intime Art und Weise kannten. Und diesmal blieb keiner von beiden unbefriedigt.
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