Eine Liebe in Paris
Ausmaßen der Stadt: eine gerade Vogelfluglinie von den Hallen bis hierher. Eigentlich hatte ich mich nur durch die Straßen treiben lassen. In der
Rue de Rosiers
, im ehemaligen Judenviertel von Paris, hatte ich eine
Falafel
aus der Hand gegessen (wer hätte gedacht, dass gematschte und in Fett gebackene Kichererbsen so gut schmecken können?) und den Trubel in den Gassen beobachtet, in denen viele der kleinen Geschäfte und auch das ehemalige Badehaus in Luxusboutiquen umgewandelt worden waren. Orthodoxe Juden gingen in ihren langen dunklen Mänteln und mit hohen schwarzen Hüten in die Geschäfte und kauften koscheres Fleisch und Gebäck ein. Unter ihnen sah ich auch junge Männer, die kaum älter sein konnten als ich selbst. Ihr ernsthafter Blick, ihre würdige Haltung und die blassen Gesichter mit den Seitenlocken beeindruckten mich.Sie schienen all die anderen Menschen, die das Viertel nur aus Neugierde erkundeten, nicht einmal wahrzunehmen.
Ich aß den ersten Bissen von meinem
Crêpe
. Wie brachten sie den Pfannkuchen nur so hauchdünn zustande? Meine Mutter hatte einmal versucht, ihren Pfannkuchen werfend zu wenden, und er war auf dem Küchenboden gelandet. Sie fehlt mir, merkte ich. Schade, dass sie das alles hier nicht mit mir sah und bewunderte. Ich musste sie unbedingt heute Abend anrufen und ihr sagen, dass ich ihr kein bisschen mehr böse war wegen des Monats in Paris. Und Mogens konnte ich dann auch schon allerhand erzählen. Hm, schmeckte der
Crêpe
gut! Ich kaute genüsslich, und es war, als explodierten Kugeln aus Licht an meinem Gaumen.
Dann schaute ich dabei wieder auf die Seite des
Paris pratique
. Wie musste ich zum Picasso-Museum gehen? Es sah gar nicht weit weg aus. Ich freute mich darauf, denn ich liebte Picasso: die Kraft seiner Bilder, in deren Vielfalt doch immer sein einzigartiger Stil zu erkennen war.
Plötzlich dachte ich an den jungen Mann aus dem Flugzeug, Jean-Loup. Schade, dass er mich nicht nach meiner Telefonnummer gefragt hatte, denn dann müsste ich jetzt vielleicht nicht allein hier sitzen. Aber ich hätte ihn ja auch fragen können, oder? Es musste nett sein, mit ihm auf der
Place des Vosges Crêpes
zu essen. Ich aß ungern allein und ging auch ungern allein in Museen. Du eignest dich gar nicht zum Schlüsselkind, hatte meine Mutter immer gesagt. Aber wer eignete sich schon dazu?
Ich seufzte. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als allein weiterzubummeln.
»Kann ich zahlen, bitte?« Ich winkte der Bedienung zu.
»
Oui, Mademoiselle
.« Die Serviererin kritzelte die Rechnung auf ihren Block, und ich ließ ihr ein für meine Verhältnisse großzügiges Trinkgeld da, das sie lächelnd entgegennahm. Ehe ich den
Place des Vosges
hinter mir ließ, drehte ich mich noch einmal um und betrachtete die vollkommen symmetrisch gebauten Häuser, die den Platz umgaben und die wie gebrannter Zucker schimmerten. Wie könnte ich ihre Farbe auf meiner Palette einfangen? War das vielleicht Umbra mit einem Schuss Karmesinrot? Oder sollte ich eher Sienna als Grundfarbe nehmen? Und war da nicht noch etwas Grau dabei? Keine Frage, Paris war die Stadt der Künstler!
So, wohin musste ich jetzt gehen? Ich zückte wieder den
Paris pratique
und wandte mich der kleinen Straße zu, der
Rue des Francs Bourgeois
, auf der die Vespa- und Autofahrer sich mühsam ihren Weg zwischen all den Fußgängern, die es heute nicht eilig hatten, bahnten.
In diesem Augenblick sah ich Marie Lefebvre. Ich musste zweimal hinschauen, bis ich sie erkannte. Ihre sonst so streng im Nacken zusammengebundenen Haare fielen ihr in sanften Locken auf die Schultern, und die blaue Bluse, die sie am Morgen bis zum Hals zugeknöpft getragen hatte, stand offen, sodass ich selbst von der anderen Straßenseite aus die Spitze ihres schwarzen BHs erkennen konnte. Sie ging mit raschen Schritten den schmalen Bürgersteig entlang und erwarteteoffensichtlich, dass alle anderen ihr auswichen. Ich beobachtete, wie sie in ihrer Tasche nach ihrem Autoschlüssel suchte, denn sie hatte ihren roten Mini direkt an der Straßenecke geparkt. Ihre Wangen glühten, als sie sich erst die Sonnenbrille aufsetzte und dann ihr Auto aufsperrte. Ich wich in den Schatten eines Hauseingangs zurück und sah, wie sie den Motor anließ und ihr Auto in den stockenden Verkehr in Richtung der
Rue Saint-Antoine
einfädelte.
Merkwürdig. Was hatte sie hier zu tun gehabt, wo das
Marais
doch am Wochenende so mit Touristen überlaufen war und sie mir selber noch so
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