Eine Liebe in Paris
ein Hotelzimmer. Ja, ganz bestimmt sogar war das besser. Mit diesem Entschluss schlief ich ein.
Als ich erwachte, regnete es, wie es sich für einen Montagmorgen Anfang September gehörte. Das Trommeln der Tropfen auf dem Oberlicht des
Chambre de Bonne
erinnerte mich an die Ferien, die ich mit Mogens auf dem Boot seiner Eltern in Dänemark verbracht hatte. Es hatte damals jeden Morgen geregnet, und ich hatte in meiner eigenen kleinen Kabine bei genau diesem Geräusch abgewartet, bis ich endlich mal auf die enge Bootstoilette konnte. Das Segeln selber hatte mir Spaß gemacht, aber auch da war Mogens ständig in meiner Nähe gewesen. Ich empfand seine Abwesenheit hier als wohltuend. Und ein eigenes kleines Badezimmer hatte ich auch!
Ich sah auf den Wecker, der noch nicht geklingelt hatte. Es war gerade erst sechs Uhr. Ich hatte also noch fast eine Stunde Zeit, und so ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen, bis er an meinem Laptop, der noch von gestern Abend aufgeschlagen auf dem Schreibtisch stand, hängen blieb. Ich sprang aus dem Bett und schaltete ihn ein. Mir war gerade eine Idee gekommen. Ich wartete ab, bis ich ins Internet konnte, denn hier oben unter dem Dach dauerte esimmer etwas, bis ich das Signal von weiter unten im Haus empfing. Als es endlich so weit war, googelte ich »Wolff« und fügte noch das Wort
Peintre
hinzu. Wolff, der Maler. Mal sehen, was das Netz über ihn zu bieten hatte. Vielleicht stand auf einer der Websites sein echter Name oder ich konnte schon mal ein Bild von ihm finden. Marie hatte gesagt, dass er jung sei. Es dauerte nur ein, zwei Atemzüge und die ersten Seiten kamen hoch: Ich fand jede Menge Abbildungen seiner Kunst, aber kein Foto von ihm. Hm, also entschied ich, mir zunächst seine Werke anzuschauen. Mir blieb der Mund offen stehen. Wie ungemein produktiv er war! Dieser Mann schien nichts anderes zu tun, als zu malen. Allein vom vergangenen Jahr wurden zwölf großflächige Arbeiten auf der Seite seiner Galerie gezeigt, die in der
Rue des Beaux Arts
war. Das musste einem erst einmal gelingen, sich jeden Morgen wieder hinzustellen und seine Träume auf die Leinwand zu bringen. Bei mir hing das immer sehr von meiner Lust und Laune ab.
Doch Wolffs Arbeiten sahen tatsächlich so aus, als hätte er seine Träume in Bildern festgehalten, wie andere Landschaften.
Traumschaften
– ich hatte ein neues Wort für seine Werke gefunden, denn sie stellten in ihren gedämpften, puderigen Farben und mit den rätselhaften Menschen und Häusern darauf Landschaften dar, wie man sie nur in Träumen sehen und durchwandern konnte.
Traumschaften
, wie schön das klang, dachte ich, als ich weiter auf der Website las: Wolff wollte weder ein Foto von sich veröffentlichen – bei
Vernissagen
waren Kameras untersagt – noch seinen wahren Namen preisgeben.
Ich schaltete den Computer aus und stand auf, denn nun galt es, eine wichtige Entscheidung zu treffen: Was sollte ich anziehen?
Als ich eine Stunde später die Treppe zu den Lefebvres hinunterstieg, war ich sicher, dass die blickdichten schwarzen Strümpfe meine Beine unter dem kurzen schwarzen Rock schlanker aussehen ließen und dass das enge Feinripptop unter dem offenen blauen Hemd, das ich mal Mogens stibitzt hatte, mir einen künstlerischen Flair gaben.
»
Bonjour à tous!
«
Camilles Klasse saß bereits hinter ihren Staffeleien, obwohl im allgemeinen Zeichensaal heute statt eines Modells zwei bequeme Sessel auf dem kleinen Podest am Ende des Ateliers des
Lycée Franco-Américain
standen. Der Direktor betrat zusammen mit Marie Lefebvre den Raum. Sie hatte Camille und mich zur Schule gebracht und war dann verschwunden, um den Maler abzuholen. Ich wäre zu gern mit ihr gegangen, doch sie hatte mich nicht eingeladen und zu fragen wagte ich nicht.
»
Les Élèves
, heute haben wir die Ehre, den geheimnisvollsten und erfolgreichsten jungen Maler Frankreichs bei uns zu Gast zu haben. Er hat gerade eine große Einzelausstellung in München eröffnet, denn seine Mutter ist Deutsche. Und nun bereitet er sich auf seine nächste Vernissage in Paris vor. Bitteliefert alle eure Handys bei mir ab, denn er will nicht, dass jemand ein Foto von ihm macht.«
Alles lachte, murrte und gehorchte letztendlich doch. Auf dem Lehrerpult stapelten sich bald über zwanzig Handys. Dann legte sich eine erwartungsvolle Stille über die Gruppe und wir hörten rasche, weiche Schritte den Gang hinunterkommen. Ich hob den Kopf, und bevor ich noch etwas denken
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