Eine Liebe in Paris
öffnete, sah mir mein Gesicht blass und spitz entgegen. Ich zwinkerte. Es blieballes gleich. Abermals drehte ich das eiskalte Wasser an und ließ es mir über die Handgelenke laufen, doch es half nichts. Ich zitterte nun so sehr, dass ich mich setzen musste. Wut, Scham, Schmerz, alles brodelte in mir und stieg aus meinem Innersten hoch, durch mein Herz bis in meine Kehle, und hinterließ in meinem Mund einen bitteren Geschmack. Ich schluckte, doch der Geschmack blieb, und ich versuchte, tief durchzuatmen, aber der Gefühlscocktail wurde immer stärker, und ich zitterte immer mehr.
»Ava? Alles in Ordnung? Bist du fertig da drinnen?«, fragte Wolff.
»Gleich«, sagte ich. »Gleich.«
Ich stand auf und mein Blick glitt über die Ablage am Waschbecken. Da war ja seine elektrische Zahnbürste mit dem brandneu aussehenden Kopf. Wunderbar. Ich nahm die Bürste, öffnete das Klo und rieb die Borsten genüsslich mehrere Male über den Rand, bis ich sicher war, dort auch wirklich alle möglichen Bakterien aufgefangen zu haben, ehe ich die Bürste wieder an ihren Platz zurückstellte.
Dann sah ich mich um. Was gab es denn hier sonst noch? Ach ja, da stand ja das teure
Terre
. Einen Atemzug lang musterte ich seine goldgelbe Farbe, dann schraubte ich die Flasche auf und goss die Hälfte des
Eau de Toilette
in den Ausguss. Es gluckste leise und der kleine Raum füllte sich mit dem Duft von Sandelholz, als mir eine Idee kam, die mich auflachen ließ.
»Ava?«
»Gleich«, wiederholte ich, zog hastig meine Jeans herunter und setzte mich auf die Toilette. Die Flasche war nun wieder voll mit goldgelber Flüssigkeit, aber es roch nicht mehr ganz so gut wie vorher. Ich musste kichern, es blubberte aus mir heraus, und ich legte mir die Hand vor den Mund. Wolff würde Augen machen, wenn er sich das nächste Mal, wenn
er seine Freiheit brauchte
, bereit machte! Vielleicht merkte er es gar nicht, bis alle einen Bogen um ihn machten, weil er stank wie ein brünstiger Rüde, der an jeden Laternenpfahl machte.
»Ava. Wenn du nicht rauskommst, dann komme ich rein.«
Wieder stieg das nervöse Lachen in mir nach oben. »Ich komme ja schon«, sagte ich, wusch mir die Hände und warf einen letzten zufriedenen Blick auf die Ablage mit der Zahnbürste und der vollen Flasche
Terre
. Ein echtes
Eau de Toilette
war das jetzt!
Aber als ich mir die Hände abtrocknen wollte, blieb mir das Lachen im Hals stecken: An einem der Haken an der Tür hing eine Halskette. Es war ein dunkles Samtband mit einem schweren goldenen Kreuz daran, in dessen Mitte ein einzelner Rubin leuchtete.
Ich ließ kraftlos die Hände sinken. Diese Kette hatte ich in den vergangenen zwei Wochen in Paris so oft gesehen, dass ich sie überall wiedererkannt hätte. Es war kein Schmuckstück, wie man es im Supermarkt vom Haken kaufte. Das Gold war schwer und sorgsam gehämmert und das Kreuz leicht asymmetrisch gearbeitet. Sie passte in ihrer Eleganz und Einzigartigkeit zu dem gesamten Stil, den Marie Lefebvre kultivierte.
»Kommst du jetzt?«, drängte Wolff von draußen.
»Ja«, sagte ich. »Ich komme.«
Die Tür lag schwer in meiner Hand, als ich sie öffnete, und ich vermied es, zu der Staffelei mit dem grob gezeichneten Frauenkörper und den beiden leeren Champagnergläsern zu sehen. An die Empore mit dem breiten Bett wollte ich nicht mal denken. Ich wollte nur aus Wolffs Atelier raus, und zwar schnell. Ohne ihn noch einmal anzuschauen, durchquerte ich den Raum und ging hinaus.
»Ava!«, rief er noch, doch ich ließ die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fallen und hielt mich kurz am Geländer fest, um mein Gleichgewicht wiederzufinden.
Mein Kopf drehte sich wie im Rausch. Mein Gott, ich brachte wirklich das Leben der Lefebvres durcheinander! Hatte Marie mich gehört und gesehen? Natürlich hatte sie das. Was musste sie dabei empfunden haben?
Ich stieg langsam die ersten Stufen der Treppe hinunter, aber auf der vierten Etage musste ich mich erst einmal hinsetzen und mehrere Male tief durchatmen. Die Bilder und die Worte der letzten halben Stunde, der ganze Schrecken, der Schmerz und die Demütigung schnitten wie Messer in mich hinein.
Ich musste dringend mit jemandem sprechen, entschied ich. Meine Mutter? Wohl kaum, verwarf ich diese erste, naheliegende Idee. Ob sie nun in Dubai war oder nicht, ich würde sie kaum zurückhalten können, in das nächste Flugzeug nach Paris zu steigen und Wolff eigenhändig zu kastrieren. Im Leben gab es Momente, in denen man seine
Weitere Kostenlose Bücher