Eine Liebe in Paris
Raumes hatte er eine überdimensionale Leinwand gestellt, auf die grob die Umrisse eines schmalen Frauenkörpers gemalt waren. Auf einem Hocker daneben standen zwei leere Champagnergläser und ein Laken lag nachlässig zusammengeknüllt auf den Dielen.
Ich sog wieder die Luft ein, und es roch schwer nach seinem
Eau de Toilette, Terre
von Hermès. Musik plärrte ausdem iPod, aber dieses Mal war es nicht der betrunkene, heisere Russe von vergangenem Wochenende, sondern wieder
Sans you
von
Neige de Juilliet
. Es war das Lied, zu dem wir in der Galerie am Abend der
Vernissage
getanzt hatten.
»Das ist unser Lied«, sagte ich und biss mir auf die Lippen, denn Wolff sah mich gleichgültig an.
»Ach ja? Ava, Süße, ich habe wirklich zu tun. Lass mich dich morgen anrufen.«
Ich wollte schon nicken, mich geschlagen geben, mich umdrehen und gehen. Doch in diesem Augenblick nahm ich oben auf der Empore, dort wo das breite Bett mit den straff gezogenen Laken stand, eine Bewegung wahr. Es war nicht mehr als eine kaum merkliche Veränderung der Luft, ein Schatten, der in einem Wimpernschlag verging. Aber ich verstand mit einem Mal. Der Schatten, das Laken, die Champagnergläser und Wolffs Verhalten addierten sich zu einer Summe.
Er war nicht allein
.
Es war entsetzlich: Das Gefühl traf mich wie eine Faust in den Magen, und ich hatte den Eindruck, nicht mehr stehen zu können. Ich wollte in die Knie gehen und mich zusammenkrümmen, um nichts mehr sehen und nichts mehr verstehen zu müssen. Mir wurde die Hand mit der Tüte und der Palette darin plötzlich schwer, ganz unglaublich schwer, und ich legte meine andere Hand an den Türrahmen, um meine zitternden Finger zur Ruhe zu zwingen. Eine verräterische Röte kroch über meinen Hals in mein Gesicht. Es kribbeltewie eine marschierende Ameisenarmee auf meiner Haut und ich machte einen Schritt nach vorn.
»Ava«, sagte Wolff sanft und stellte sich mir in den Weg, als ich in das Atelier gehen wollte. »Warum kommst du auch einfach so vorbei? Das macht man doch nicht.«
Seine Augenfarbe erinnerte mich nun an Kaffee mit Sahne. Er legte seine Hand auf meinen Oberarm und die Berührung brannte wie Feuer. Ich wollte seine Lippen, ich wollte seine Arme, ich wollte ihn ganz und gar – alles! Doch seine nächsten Worte waren wie eine kalte Dusche auf den Brand in meinem Inneren.
»Ein Mann braucht seine Freiheit. Ich hatte gehofft, dass du das schon am Donnerstag verstehst.«
»Was meinst du damit, schon am Donnerstag?«, fragte ich mit erstickter Stimme, obwohl ich plötzlich auch das verstand. So ein Schwein! Ließ mich da vor zwei Tagen einfach vor der Tür stehen und dann heute so ins Messer laufen. Eine ungeheure Wut begann in mir zu brodeln.
»Na, als du einfach vorbeigekommen bist. Ich war beschäftigt und wollte die Tür eben nicht aufmachen. Man darf die Leute nicht so bedrängen.«
Beschäftigt! Ha! Das schlug dem Fass den Boden aus. Beschäftigt, das konnte man wohl sagen, dachte ich und sah wieder zu den Champagnergläsern neben der Staffelei und dann hoch zur Empore, wo nun alles still war. So still, als hielte jemand den Atem an. Vor Schmerz schnürte es mir die Kehle zu. Aber war es wirklich nur Schmerz? Wut stieg in mirauf, und auch Scham darüber, mich überhaupt in eine solche Lage gebracht zu haben. Wolff ließ mich nicht aus den Augen.
»Die Dinge passieren nicht nur, weil man sie so unbedingt will«, sagte er ruhig.
Das klang ganz ähnlich wie Camilles
Du willst mit dem Kopf durch die Wand
.
»Ich will nur …«, begann ich.
»Ja?«, fragte er und klang jetzt genervt. Seine Augen verdunkelten sich zu einer Espressofarbe. »Was willst du denn noch?«
Ja, was wollte ich denn noch? Na warte, ich wollte es ihm zeigen, auch wenn ich noch nicht genau wusste, wie und was. Ich zitterte nun wieder, aber dieses Mal vor Wut, doch ich beherrschte meine Stimme, als ich sagte: »Kann ich bitte kurz ins Badezimmer?«
Er trat unwillig beiseite. »Natürlich.«
Ich ging an ihm vorbei und sah nicht mehr zu der Staffelei und auch nicht mehr nach oben zur Empore. Meine Finger krampften sich um den Tütengriff, als ich im Badezimmer verschwand. Ich stellte die Tüte neben der Tür auf den Fußboden, schloss ab, lehnte mich gegen die Wand und atmete tief durch. Draußen im Atelier hörte ich Wolff ungeduldig auf und ab gehen. Es klang wie ein Panther, der in seinem Käfig kreiste. Ich hatte ihn offensichtlich sehr gestört. Ich schloss die Augen, und als ich sie wieder
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