Eine Liebe in Paris
Mutter nicht mehr einfach so anrufen konnte, und so einer war jetzt gekommen. Mogens etwa? Und wie bitte schön wollte ich ihm erklären, was genau ich mir von dem Besuch bei Wolff erhofft hatte? Nein, auch nicht. Mein Handy klingelte plötzlich und ich ließ es vor Schreck beinahe fallen.
Camille
, las ich zu meinem Erstaunen auf dem Display. Ausgerechnet Camille! Sie musste wirklich übersinnlich sein, um sich gerade diesen Augenblick für ihren Anruf auszusuchen. War sie nicht die Allerletzte, mit der ich sprechen konnte? Aber ich hatte das Gefühl, innerlich überzukochen. Vielleicht konnte ich meine Sorgen teilen, ohne irgendwelcheNamen zu nennen. Ich nahm den Anruf an, während ich langsam die Treppe hinunterstieg und Wolffs Haus verließ.
»Hallo, Ava, bist du noch bei Wolff?«, fragte sie mich und ich hörte Straßenlärm im Hintergrund.
»Nein, nicht mehr.«
»Das ging aber schnell.«
»Allerdings«, sagte ich düster.
»Du klingst so niedergeschlagen. Was ist passiert? Wo bist du denn jetzt?«
»Noch immer im
Marais
. Und du? Bist du daheim?«
»Nein, doch nicht. Ich musste über alles nachdenken, was wir im
Jardin de Luxembourg
gesagt haben, und hatte noch Lust auf einen Spaziergang, denn zu Hause ist eh niemand. Papa spielt Tennis und Mama ist unterwegs. Ich bin gar nicht weit weg von dir, in
Les Halles
. Hier gibt es eine wunderschöne Marktstraße, die
Rue Montorgueil
. Sie beginnt neben der großen Kirche, der
Saint-Eustache
. Da sitze ich gerade und trinke einen Kaffee. Willst du zu mir kommen?«
»Ja, gerne«, sagte ich und dachte dann erst nach. Konnte ich Camille treffen und den Mund halten? Der Gedanke an das, was ich dort oben bei Wolff gesehen hatte, schmerzte. Aber noch mehr schmerzte die Vorstellung, Camille alles erzählen zu müssen. Trotzdem fragte ich sie: »Wie komme ich am schnellsten zu dir?«
»Ganz einfach …«
Camille erklärte mir den Weg, doch ich hörte gar nicht zu. Irgendwie würde ich es schon finden. Alle meine Sinnewaren stumpf, und ich ging wie durch einen Tunnel, ohne nach rechts und links zu sehen, durch das
Marais
über die
Rue du Renard
am
Centre Pompidou
vorbei, überquerte den
Boulevard Sébastopol
und sah dann schon den Kirchturm von
Saint-Eustache
.
Camille winkte mir zu, als ich in die
Rue Montorgueil
einbog. Sie saß in einem der Cafés entlang der engen, mit Kopfstein gepflasterten Straße und ließ das bunte Leben an sich vorbeiziehen. Das war der Lärm, den ich bei ihrem Anruf gehört hatte.
»Komm her, Ava. Ich habe deinen Stuhl wie eine Löwin verteidigt. Der Markt ist gleich aus, da ist hier in den Cafés immer tierisch viel los.«
Ich setzte mich neben sie und sie musterte mich erstaunt.
»Wie siehst du denn aus? Hast du ein Gespenst gesehen?«
Während ich noch nach Worten suchte, fragte sie: »Was willst du trinken? Auch einen Kaffee?« Sie winkte dem Kellner. »
Garçon!
«
»So ungefähr«, sagte ich.
»So ungefähr? Wie sieht ein ungefähres Gespenst denn aus?«, kicherte sie und bestellte. Anschließend fragte sie: »Du hast ja noch immer die Tüte mit der Palette. Wolltest du sie ihm nun doch nicht schenken? Ich hoffe, ich habe dir deine Idee nicht verdorben.«
»Nein, nein. Es hat sich einfach keine Gelegenheit dazu ergeben.«
»Weshalb nicht?«
»Weil … weil …«, begann ich, als der Kellner den Kaffee vor mir abstellte und seine Anwesenheit mir noch eine Gnadenfrist gab. Ich fühlte mich wie ein Schwimmer, der unweigerlich auf einen Wasserfall zutreibt.
»Weil?«, fragte Camille und zog die Augenbrauen hoch. »Na, was weil? Spuck es aus. So schlimm kann es nicht sein.«
»Weil Wolff nicht alleine war.«
Camilles Hand, die die Kaffeetasse hielt, schwebte in der Luft, ehe sie die Tasse ruhig absetzte. Ihr Gesicht war mit einem Mal sehr blass und sie sah mich ernst an.
»Wolff war nicht alleine?«
»Nein«, sagte ich leise und verhakte meine Finger, um sie am Zittern zu hindern.
Camille sah mich weiter ernst an. »Was hast du dann gemacht?«
Ich erzählte es ihr, und sie lachte plötzlich so, dass sie sich die Augen wischen musste.
»Das ist gut. Das ist einfach fabelhaft. Aber du Ärmste.« Sie trank noch einen Schluck Kaffee und streichelte meinen Oberarm. »Wie furchtbar, so etwas erleben zu müssen. So ein Schwein.«
Wir beide schwiegen einen Augenblick lang, dann räusperte sich Camille und hob wieder ihre Tasse, ehe sie mich leise fragte: »Und – hast du die andere gesehen?«
Ich wagte es nicht mehr, sie
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