Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
persönlichen Erinnerungen auftreten, zu entgehen, auch ihr Gedächtnis mag ihr gelegentlich einen Streich spielen. Wie anders könnte man das von einer neunzigjährigen Memoirenschreiberin auch erwarten. Dennoch, Deutschs Neigung zu begeisterter Anerkennung, ja Idealisierung einerseits, zu ebenso heftiger Ablehnung andererseits war ihrem Temperament offenbar von Kindheit an eigen. Schon in der Beziehung zu ihren Eltern zeigte sich deutlich, was manchen Analytikern als männliche Eigenschaft imponiert: sie war zum Hass so fähig wie zur Liebe. Die Gefühle, die sie ihren Eltern entgegenbrachte, waren und blieben eindeutig: Sie liebte und idealisierte ihren Vater, sie hasste und verachtete ihre Mutter.
Was ist interessant an den Memoiren einer über neunzig Jahre alten Psychoanalytikerin? Dass sie 1918 ihre Lehranalyse bei Freud begann, sich in den zwanziger Jahren aktiv an der Gründung des Wiener Psychoanalytischen Instituts beteiligte, seit 1934 die Entwicklung der Psychoanalyse in Amerika miterlebte, mag manchem kaum als berichtenswert erscheinen. Mittlerweile sind zahlreiche Bücher erschienen, die uns über die Entwicklung der Psychoanalyse im Wien Freuds und später in Amerika informieren.
Mir scheint interessant zu sein, wie es möglich war, dass Helene Deutsch in ihren Jugendjahren eine engagierte Sozialistin war, deren späteres psychoanalytisches Hauptwerk von der Psychologie der Frau handelt, in dem sie sich aber mit den Zielen der Feministen und Feministinnen als einer ebenfalls sozialen Bewegung so gut wie nie beschäftigte, geschweige denn sich hiermit tiefergehend identifizierte. Alle ihre Revolutionen, so Helene Deutsch, seien von Männern inspiriert worden: erst von ihrem Vater, dann von ihrem Liebhaber und Mentor Hermann Liebermann und zuletzt von Freud.
Da ihre wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Psychologie der Frau gleichzeitig autobiographische Züge tragen, wie die Autorin in der Einleitung zu ihren Memoiren bekennt, ergibt sich als wichtiger Beweggrund, dass Deutsch sich für die Frau als Teil ihrer selbst interessierte, einer Frau, die ihre Liebes- und Idealisierungsfähigkeit ganz eindeutig in der Beziehung zu Männern auslebt. Vergleicht man Helene Deutschs Darlegungen über die Frau und deren Glücksmöglichkeiten mit den Ansichten von Feministinnen unserer Zeit, wird einem deutlich, wie unterschiedlich die Auffassungen sind. Allerdings bleibt einem dann auch nicht verborgen, dass die Unterschiede in den Einstellungen nicht nur historisch-gesellschaftlich bedingt sind, sondern starke Impulse auch von der individuellen Prägung aus der Elternbeziehung erhalten. Auf die, wie mir scheint, interessanten und schwerwiegenden Probleme, die sich hieraus für Helene Deutsch ergaben, wird später zurückzukommen sein. Zunächst jedoch scheint mir ein kurzer biographischer Überblick über ihre Entwicklung notwendig zu sein.
Helene Deutsch wurde am 9. Oktober 1884 in Przemysl, einer mittelgroßen polnischen Stadt in Galizien, Polen, geboren. Bekanntlich ist Galizien jener Teil Polens, der 1772 dem österreichisch-ungarischen Kaiserreich angeschlossen wurde. Erst nach der Beendigung des Ersten Weltkriegs wurde Galizien wieder dem damals neu gegründeten polnischen Staat zugeordnet. Zu dieser Zeit lebte Helene Deutsch aber schon lange nicht mehr dort, sondern in Wien. Sie war das vierte und letzte Kind jüdischer Eltern, die sich an ihrer Stelle eigentlich einen Knaben gewünscht hatten. In ihrer Kindheit war sie eng an ihren Vater, einen angesehenen Rechtsanwalt, gebunden. Seine Autorität auf allen denkbaren Gebieten wurde von ihr fraglos akzeptiert. Kurz, er besaß ihre uneingeschränkte Liebe und Bewunderung. Die Verachtung und Ablehnung der Mutter wurden schon erwähnt. Ihre Versuche, sich von der Familie und deren bürgerlichen Idealen und Sittengesetzen zu befreien, setzen erst in ihrer Adoleszenz ein. Es kommt zu schmerzlichen Kontroversen mit dem geliebten Vater, dessen politische Ansichten liberal, aber doch im Wesentlichen konservativ geprägt sind. Ihre politischen Ansichten sind ihm so wenig genehm wie ihre Liebesbeziehungen. Geärgert hat sie ihn vor allem dadurch, dass sie ihn eifersüchtig machte.
Um die Jahrhundertwende schloss sich Deutsch der sozialistischen Bewegung Polens an. Sie benutzte, so drückt sie es in ihren Memoiren aus, ihre politische Betätigung und später ihr Medizinstudium, um ihre Energien zu sublimieren. Faktisch konnte man bei ihr Politik und
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