Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
erledigt.
Die deutsche Art zu lieben verlangt also, zu idealisieren. Indem ich jemanden liebe, der ein Ideal ist, erfasst sein Glanz auch mich. Mit dem größten Führer aller Zeiten werde auch ich, wird mein Volk zum größten Volk aller Zeiten. Auf diese Weise konnten Gefühle der Minderwertigkeit gemildert und abgewehrt werden.
Zur individuellen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit, zur Zivilcourage wird in einer solchen Gesellschaft kaum jemand erzogen, weswegen auch die »Zuschauer« in der Nazizeit so selten Eigeninitiative entwickelten. Ich fand den Film »Schindlers Liste« so wichtig, weil da ein Held dargestellt wird, der gleichzeitig viele Schwächen und Fehler hatte. Es kommt eben nur darauf an, dass ein Mensch sich in furchtbaren Zeiten seine Fähigkeit zur Humanität zu erhalten vermag.
Lehren
In das Buch über Die Unfähigkeit der Deutschen zu trauern sind eigene Erfahrungen eingegangen, nämlich das Erleben, in welchem Ausmaß Trauer, Erinnerung und Konfrontation mit der Vergangenheit befreien können – nicht nur von Vorurteilen, sondern auch vom Selbsthass. Und ich denke schon, dass mit diesem Buch der Wunsch verbunden war, nicht nur im sadistischen Sinne den Deutschen den Spiegel vors Gesicht zu halten, sondern auch einen Weg aufzuzeigen, wie man in die Gesellschaft der Völker zurückfinden kann, als Nation von Menschen, die ihre Menschlichkeit wiederentdeckt haben, die begonnen haben, sich mit ihren falschen Idealen von Herrenrassenwahn, »Reinheit« und Perfektionismus auseinanderzusetzen, mit »Idealen«, die Korruption und Grausamkeit ohne Ende möglich machten.
Die traurige deutsche Geschichte, die Menschheitskatastrophe, lässt sich nicht ungeschehen machen. Ich halte es für normal, wenn man bis heute das Bedürfnis verspürt, um den Verlust von Menschlichkeit solchen Ausmaßes zu trauern. Ein Volk, das hohe Kultur gerade auch in Bezug auf Humanität im Laufe der Jahrhunderte nachzuweisen vermag, sich dann einem Wahn ausliefert, der das Leben von Menschen als unwert erklärt und den Völkermord möglich macht, fällt tief, wenn es mit der absoluten Zerstörung seiner humanen Kultur konfrontiert ist. Ein Band der Mitmenschlichkeit wurde zerrissen, auch wenn die heutige Jugend keine persönliche Schuld daran mehr trifft. Wir weinen, wenn wir traurige Geschichten hören oder lesen, in denen Schlimmes geschieht, in denen unschuldige Menschen auf furchtbare Weise sterben müssen. Es ist unsere Geschichte, über die wir heute trauern.
Deshalb würde ich sagen: Ihr, meine lieben Enkelkinder, lebt in Deutschland, ihr seid deutsch, ihr sprecht deutsch, ihr nehmt teil an der deutschen Kultur, der deutschen Geschichte, sie gehört zu euch, und Auschwitz gehört zur deutschen Geschichte. Eure Geschichte besteht nicht nur aus den Jahrhunderten vor dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit danach, sondern auch aus dem barbarischen Massenmord unter Hitler. Wenn ihr euch mit dieser Geschichte nicht auseinandersetzt, kann sie sich wiederholen, sie ist eine Realität, diese Geschichte, an der auch die Menschen nach Hitler schwer tragen. Ihr seid nicht schuld an dieser Geschichte, aber ihr gehört zu dieser Geschichte. Wenn ihr sie nicht durcharbeitet, wenn ihr sie nicht aufnehmt, wenn ihr euch mit ihr nicht konfrontiert, wird sie umso mehr auf euch lasten, und ihr werdet nicht aus der Geschichte lernen können. Außerdem, sobald ihr einen Fuß außerhalb deutscher Grenzen setzt, wird man sich euch gegenüber an diese Geschichte erinnern. Ihr könnt sie vergessen wollen, aber dann müsst ihr euer Denken ändern, und die Wirklichkeit um euch herum dürft ihr dann nur begrenzt wahrnehmen.
Eine »deutsche Art zu lieben« heißt, um es zu wiederholen, nur unter der Bedingung lieben zu können, dass man seine Mitmenschen idealisiert. Vorbedingung dafür ist, dass der oder die anderen so sind, wie wir glauben zu sein oder glauben, sein zu müssen. Idealisieren oder entwerten, das sind zwei Seiten derselben Münze. Den anderen als anderen zu lieben fällt uns schwer, und trauern kann man wahrscheinlich nur, wenn man jemanden geliebt hat, den man als einen Menschen wahrnehmen konnte, der anders war als man selber; den man geliebt hat, obwohl oder gerade weil er oder sie anders war und man im Laufe des Trauerns die Verinnerlichung der oder des Verlorenen als Bereicherung erlebt.
Wenn wir jemanden lieben, nur weil wir ihn idealisiert haben, kann diese »Liebe« so abrupt beendet werden, wie sie begonnen wurde. Sie
Weitere Kostenlose Bücher