Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
als anderen einzufühlen, Mitleid mit den Opfern eigener Projektionen zu haben und dem Bedürfnis wiedergutzumachen zu folgen, wo immer es möglich ist.
Die Grenze zwischen der BRD und verschiedenen Ländern im Osten Europas trennte bis vor wenigen Jahren Welten voneinander. Das hat sich seit einiger Zeit grundlegend geändert. Haben sich hierdurch aber auch Mentalitäten verändert? Oder haben die beiden sich jahrzehntelang bekämpfenden politischen und gesellschaftlichen Welten Überzeugungen, die in der gemeinsamen Vergangenheit wurzeln, nur wenig verändert? Im Osten ist eine Vision von Menschlichkeit – der Sozialismus –, der ja ursprünglich Gleichheit und Gerechtigkeit für alle Menschen bringen sollte, endgültig zusammengebrochen. Dass diese Menschheitsidee mit den Mitteln einer Diktatur durchgesetzt werden sollte, war ihr Untergang. Der unmenschliche Stalinismus war, wenn man so will, eine einzige Grenzüberschreitung. Aus mehr Menschlichkeit wurden hemmungslose Unterdrückung und Gewalt. Aber woran, so müssen wir uns dennoch fragen, ist die Diktatur im Osten letztlich zugrunde gegangen? An ihrer Heuchelei und Unmenschlichkeit oder an ihrer ökonomischen und psychologischen Fehlkalkulation? 1989, als die Mauer fiel, konnte vor niemandem mehr geheim gehalten werden, dass es den Menschen im kapitalistischen Westen viel besser ging als den Menschen im Osten. War es die Freiheit, nach der man sich im Osten am meisten sehnte, oder war es der Wohlstand des Westens, nach dem es die Menschen verlangte? Ich frage weiter: Ist es heute nach dem eindeutigen Sieg des Kapitalismus das Geld, das Finanzkapital, das die Welt regiert, oder sind es Freiheit und mitmenschliche Einfühlung, die sich im Leben der Menschen Raum verschafft haben?
Darüber nachzudenken, weshalb die Umsetzung der Idee des Sozialismus diese schon in ihren Anfängen pervertierte, so dass sie heute in allen politischen, ökonomischen und menschlichen Bereichen mehr oder weniger zugrunde gegangen ist oder geradezu verteufelt wird, forderte nicht nur Jorge Semprun in seiner 1994 in der Frankfurter Paulskirche vorgetragenen Friedenspreisrede. Diese Aufgabe verlangt eine Erinnerungs- und Denkarbeit, der sich jeder von uns stellen muss.
Die Deutschen – so sagte Semprun – seien das einzige europäische Volk, das beide unheilvollen Diktaturen dieses Jahrhunderts am eigenen Leibe unmittelbar erlebt habe. Das ist wahr und doch nicht wahr, schon deshalb, weil die Geschichte der DDR sich von der Geschichte der Sowjetunion grundlegend unterscheidet. Die Gründung der DDR kurz nach und als Antwort auf die Gründung der BRD im Jahr 1949 ist in keiner Weise mit der russischen Revolution und der Entstehung der Sowjetunion zu vergleichen. Die Teilung Deutschlands in zwei Staaten war – wie wir alle wissen – eine Folge des verlorenen Zweiten Weltkriegs. Sie war Ausdruck der beginnenden Feindseligkeiten zwischen Ost und West, des Kalten Kriegs zwischen den Siegermächten und ihren Verbündeten oder Satelliten. Die kommunistische Diktatur im Osten Deutschlands hatte mit einer Revolution nichts zu tun, sie war ein Diktat der russischen Siegermacht, wie die BRD, die neue deutsche Demokratie, ein Produkt der westlichen Siegermächte war.
Auch der Vergleich der DDR mit dem »Dritten Reich« ist absurd. Ich erinnere daran, wie verschieden die Vorbedingungen für die Errichtung dieser beiden Staaten waren. Mit Hilfe des »Ermächtigungsgesetzes« (Gesetz zur »Behebung der Not von Volk und Reich«), dem alle Parteien außer den Sozialdemokraten am 24. März 1933 zustimmten, konnte Hitler die Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland nach innen und außen legalisieren. Diese Situation unterscheidet sich grundlegend von derjenigen, in der sich Deutschland nach der totalen Niederlage, zur Zeit der Gründung der DDR befand. Da gab es weder im Osten noch im Westen so etwas wie Selbstbestimmung. Ich wiederhole diese allseits bekannten Tatsachen deswegen, weil wir bis heute leider dazu neigen, auch zwischen der DDR und dem »Dritten Reich« Parallelen zu ziehen.
Dieser schiefe Vergleich trägt dazu bei, die psychologische Verständigung zwischen Ost und West zu erschweren. So wird die Stasi mit der Gestapo gleichgesetzt, was sich aber nicht aufrechterhalten lässt. In die Fänge der Gestapo zu geraten hatte meist die Einweisung ins KZ und unter Umständen den Tod zur Folge. Allenfalls mag der Vergleich insofern zutreffen, als die Angehörigen dieser beiden
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