Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Männer mit Schuldgefühlen anders umgehen als Frauen. Wenn z.B. ein Mann seine Frau verliert, an der er sehr gehangen hat, kann man oft beobachten, dass er sich in relativ kurzer Zeit einer anderen Frau zuwenden wird. Er hat weniger als Frauen gelernt, allein zu sein und sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Angesichts eines Abgrunds an Schmerzen laufen Männer eher davon als Frauen. Eine Frau wird ihren schmerzlichen Gefühlen, ihren Erinnerungen noch lange nachhängen, öfter als der Mann depressiv werden.
Freud zufolge leidet der Mann vor allem unter Kastrationsangst, die Frau unter der Angst vor Liebesverlust. Kastrationsangst ist ja im Grunde eine narzisstische Angst, entmannt zu werden. Erfolglos zu sein, von Gefühlen überwältigt zu werden kann auch als eine Entmannung erlebt werden. Und Frauen, denen von Kindheit an beigebracht wird, dass Geliebt-Werden für sie die Hauptsache ist, können sich von dem Streben danach oft ein Leben lang nicht lösen. Sie begeben sich in eine Art Abhängigkeit nicht nur von Männern, sondern auch von ihrer Mutter.
Es gibt so etwas wie Angst vor der Angst vor Liebesverlust und Wut auf die eigene Abhängigkeit. In der Folge kann es zu einem aggressiven Daueraufbegehren kommen. Jedenfalls ist der Wert der Frauen vom Geliebt- Werden abhängiger, als es bei Männern der Fall ist. Bei Männern zählt die Leistung, die Fähigkeit, sich verteidigen zu können, einen Beruf aufzubauen und stark zu sein. Sie werden wegen ihrer Erfolge anerkannt und brauchen Bewunderung. Wer aber geliebt werden muss, dem kann man – wegen seiner Abhängigkeit von anderen – leicht Schuldgefühle machen. Wann immer Kinder versagen, der Mann krank wird, was auch immer schiefgeht, die Mutter ist schuld. Der Vater bleibt weitgehend ausgespart bei diesen Schuldzuteilungen.
Am Ende jeder Trauerarbeit steht Befreiung, nämlich die langsame Loslösung von einer schmerzlichen Bindung, die es nicht mehr gibt. Angesichts des eigenen Sterbens hört man auf zu renommieren, braucht man kein Mann mehr zu sein, der stark ist und nicht traurig sein darf. Da braucht man auch keine Frau zu sein, die immer eine gute Mutter war, sich opferte und immer schön war. Trauern heißt, mit dem Tod konfrontiert zu sein. Nur was diesem Ende gegenüber zählt, ist noch von Bedeutung. Auch Trauern ist nichts anderes als Konfrontation mit der Realität, was auch heißt: Konfrontation mit der Erinnerung, Konfrontation mit dem eigenen Verhalten, durch Wahrnehmung der eigenen Gefühle. Der psychoanalytische Prozess: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten hat viel mit Trauerarbeit gemeinsam. Das Durchdenken dessen, was in der psychotherapeutischen Beziehung geschieht, trägt zur Erkenntnis der eigenen Person bei. Da wiederholt man vieles von einem Verhalten, das man auch anderen Menschen entgegenbringt, überträgt auf den Analytiker oder die Analytikerin Gefühle, die oft aus früheren Lebensperioden stammen. Ich denke, für einen Menschen, der Interesse an sich selber, an Selbsterkenntnis, an Selbstkritik hat, gibt es auch sonst genügend Gelegenheiten, etwas über sich zu lernen, durch seinen Partner oder seine Partnerin, durch Selbstwahrnehmung und durch Beobachtung anderer. Der sensible Umgang mit sich und anderen hat zur Folge, dass man ein Gespür für eigene und fremde Gefühle entwickelt.
Kollektive Trauer
In dem Buch Die Unfähigkeit zu trauern [92] , 1967 erschienen, haben Alexander Mitscherlich und ich versucht, den Unterschied zwischen individueller Trauer und dem darzustellen, was wir unter kollektiver Trauer verstanden haben. Der Ansatz mag für viele nicht überzeugend gewesen sein. Ich glaube aus eigenem Erleben, dass kollektive Trauer die persönliche Trauer prägt oder mit ihr verschmilzt. Das lässt sich aus dem Umgang mit Nationalgefühlen ersehen und auch aus dem Erleben meiner Patienten. Aber der Verlauf oder die Abwehr kollektiver Trauerarbeit ist natürlich theoretisch und empirisch keineswegs so genau zu untermauern, wie das bei der persönlichen Trauer möglich ist, wo man jeden Schritt in einer langen Behandlung verfolgen kann. Dass aber auch ein ganzes Volk trauert, dessen Angehörige das Erleiden enormer Verluste miteinander teilen, ist wahrscheinlich, auch wenn in ihm aus Abwehr von Schuld und Scham versucht wird, Erinnerung und Trauer zu verdrängen.
Trauer heißt ja: wie geht man mit Verlusten um. Verlust an Menschen, aber auch an Menschlichkeit, Verlust an Idealen, an Wertgefühlen
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