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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margarete Mitscherlich
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West möchte ich nicht Erfahrungen und Beobachtungen unterschlagen, die mich hoffen lassen, dass sich bei manchen Landsleuten doch so etwas wie eine Trauerfähigkeit entwickelt hat. Zumindest veranlasste die erneute Konfrontation mit Krieg und Zerstörung zahlreiche Deutsche dazu, sich gegen den Krieg als Konfliktlösung auszusprechen und sich zur gleichen Zeit mit den moralischen Konsequenzen aus dem letzten Weltkrieg auseinanderzusetzen. Mit der Alternative Krieg oder Nicht-Krieg konfrontiert, wehrten sich vor allem Frauen gegen die Brutalität, die jeder Krieg mit sich bringt. Noch mehr als das Gros der Männer – so schien es mir – identifizierten sie sich mit den Opfern solcher Gewaltlösungen.
    Wollen wir uns vom Circulus vitiosus menschenvernichtenden Umgangs mit Konflikten befreien, werden wir uns der stetigen Kritik an bestehenden Wertvorstellungen und Überzeugungen stellen müssen. In sich die Fähigkeit zu entdecken, aus der Vergangenheit zu lernen, Verlust zu ertragen, aufrichtig, nicht taktlos, mit sich und anderen umgehen zu können, trägt – das weiß jeder, der diesen Prozess durchgemacht hat – letztlich in weit soliderer Weise zu einem Gefühl des Selbstwertes bei als die Aufrechterhaltung der psychischen Abwehrmechanismen gegen Einsicht und Trauer, wie es die Verleugnung, die Idealisierung des Gegenübers einerseits, andererseits die Verteufelung und Verschiebung eigener Konflikte und Schwächen auf andere sind.
    Vergessen und Verdrängen befreien uns jedenfalls nicht, auch keine Selbstgerechtigkeit im Umgang mit der Vergangenheitsbewältigung unserer Landsleute in den neuen Bundesländern. Das Bedürfnis nach Gesinnungssäuberung ist eine Abwehr der Trauer- und Erinnerungsarbeit, die nur zu einer Art Rückfall in überholte Mentalitäten und zum Selbstbetrug führen kann. Den Opfern selber ist damit sicherlich nicht geholfen.
    Nach dem Erlebnis eines neuen grausamen Krieges mit seinen schrecklichen Zerstörungen einerseits und der verlogenen Selbstbeweihräucherung von Nationalisten und Siegesberauschten in den westlichen Ländern andererseits stimmte mich trotz aller Skepsis eine deutsche »Unfähigkeit zu kämpfen« optimistisch. Angst und andere »unmännliche« Gefühle zuzulassen, nicht auf »Sieg« zu setzen und sich nicht um jeden Preis mit den Mächtigen einig zu fühlen, sondern Konflikte in ihrer ganzen Kompliziertheit wahrzunehmen und sich mit den Opfern zu identifizieren, das war doch etwas Neues in der uns bekannten jüngeren deutschen Geschichte.

IV.
    Margarete Mitscherlich, geb. 1917, Psychoanalytikerin
    Das kleine Mädchen, das ich war
    Ich kann mich genau daran erinnern, so meine ich wenigstens, was für Gefühle ich als kleines Mädchen hatte. Fast körperlich spüre ich, wie ich die Straße entlanghüpfe oder laufe, denn gehen tat ich so gut wie nie. Bewegung war für mich elementar wichtig, meist lustvoll. Schwimmen, ins Wasser springen, Schaukeln, auf Bäume klettern gehörten während des Sommers zu meinen täglichen Vergnügungen, denen ich leidenschaftlich nachging.
    Ich bin in einer kleinen dänischen Stadt, nahe der deutschen Grenze geboren, ein Gebiet, das öfters seinen Herrn wechselte, d.h., die dort überwiegend dänische Bevölkerung stand im Laufe des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts unter deutscher Herrschaft.
    Meine Mutter war Lehrerin, stammte aus Deutschland. Mein Vater, ein Arzt, gehörte einer sehr national gesinnten dänischen Familie an, die im deutsch-dänischen Grenzgebiet über Generationen für die Rückgabe der ursprünglich dänischen Gebiete gekämpft hatte.
    Mein Leben war durchaus von der Grenzlandsituation beeinflusst, besonders weil Vater und Mutter verschiedener nationaler Gesinnung waren. Dass sie dennoch ein Paar waren, bedeutete dort sehr viel, denn Deutsche und Dänen standen einander, was nationale Interessen und Identitäten betraf, keineswegs besonders freundlich gegenüber. In dem großen Arzthaus, in dem ich aufwuchs, stand ganz oben unter dem Dach, im sogenannten Saal, ein großer Dannebrog, die dänische Fahne, die immer dann herausgehängt wurde, wenn dänische Feste stattfanden, wenn historische Ereignisse, beispielsweise Siege, die irgendwann einmal erkämpft worden waren, gefeiert wurden. Meist handelte es sich dabei um Siege (oder auch Niederlagen!) im Krieg gegen den südlichen Nachbarn Deutschland. Herausgehängt breitete sich die Fahne in ihrer Länge so ziemlich über das ganze Haus aus. Meine Mutter, eine

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