Eine Liebesehe
bringen.«
»Wo ist das?«
»Wo das Meer ist. Dort werden wir wenigstens frische Luft haben.«
Es war ihm äußerst zuwider fortzugehen, weil er an jenem Vormittag außergewöhnlich gut arbeitete. Aber er legte seine Pinsel nieder, und sie gingen, obwohl es ihr nicht sehr gut tat. Sie schrak vor den Menschen zurück.
»Gibt es keinen Ort, wo wir für uns sein können?« fragte sie ihn.
»Nicht an einem öffentlichen Strand«, antwortete er kurz.
Sie saßen dort den Nachmittag hindurch, fühlten in der Tat die kühle Brise, aber keinen Augenblick verlor Ruth die Gespanntheit des Bewußtseins, daß rings um sie Leute waren. Und er wurde mit einem Schlage vor die Wahl gestellt zwischen der Liebe und dem Haß auf das, was sie haßte.
Danach sah er die Stadt manchmal, wie Ruth sie sah – eine Stätte des Lärmes und widerstreitender Verwirrung. Dann war jedes Gesicht, das er erblickte, gräßlich. ›Diese Menschen kommen mir vor wie aus einem bösen Traume‹, dachte er, wenn er auf der Straße an ihnen vorbeiging oder wenn er in der Straßenbahn saß und die lange Reihe anstarrte. Doch gab es andere Tage, an denen die gleichen Gesichter zu ihm sprachen, und dann waren sie nicht häßlich. Für Ruth waren es, ob häßlich oder nicht, die Gesichter ewiger Fremder.
Sie kehrten ohne Hast und ohne die Absicht, dort dauernd zu bleiben, auf den Bauernhof zurück. Ruths Mutter war erkrankt, und ihr Vater fragte sie, ob sie kurze Zeit kommen könne, bis es der Mutter besser ginge. Es war Juli, und in der Stadt herrschte größere Hitze denn je.
»Kein Grund, warum wir nicht beide auf die Farm gehen sollten«, sagte William fröhlich. »Dort kann ich geradesogut malen«, fügte er hinzu.
»Oh, William, wirklich?« rief sie, und zum erstenmal seit vielen Tagen warf sie sich in seine Arme.
Sie hatte nicht geklagt, aber das war auch gar nicht nötig gewesen. Jeder Nerv seines Wesens war auf sie abgestimmt, und er wußte, daß sie ihr Leben, Augenblick um Augenblick, erduldet hatte.
Sie hatten in ihrer Wohnung alles genauso gelassen, wie es war. Keiner sprach von einer Rückkehr oder einer Nichtrückkehr. Sie gingen nur fort. Und als der Zug aus der Stadt hinausfuhr, war Ruth wie eine von Krankheit Genesende. William beobachtete sie, und er konnte an dem erneuten Glanz ihrer Augen, an ihrer alten nachdrücklichen Kopfbewegung erkennen, wann die Stadt hinter ihnen lag und sie wieder in den welligen Hügeln und Feldern waren. Sie begann zu reden, sie, die in New York nichts Erwähnenswertes oder Beachtenswertes gefunden hatte.
»Schau, William, schau, wie der Mais steht! Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals so gesehn habe. Man muß ihn gut und früh gesät haben. Ich sage Papa immer, daß er ihn jedes Jahr zu spät sät. Oh, William, sieh doch die Enten! Hoffentlich haben sie daheim dies Jahr junge Enten, obwohl ich annehme, daß sie keine haben, wenn Mama krank ist. Jetzt ist es dazu vielleicht zu spät. Schau, William, die Scheune dort – grün! Wie kann man bloß eine Scheune grün statt rot anstreichen? Das müssen Stadtleute sein, sicher!«
Ihr braunes Haar kräuselte sich in der Hitze um ihr Gesicht, und ihre Wangen waren rosig. Sie umfaßte seine Hände mit krampfhaftem Griff, und er spürte, wie durch die Vereinigung Leben in ihn strömte. Sie war wieder lebendig, und sie machte ihn lebendig. Er fing ihren Duft ein, und es war Wohlgeruch. Er erinnerte sich an eine Geschichte, die er irgendwo gelesen, die Geschichte von der Geliebten eines chinesischen Kaisers, die der Kaiser aus keinem anderen Grunde geliebt hatte, als weil von ihr, wenn sie sich erhitzte, ein Wohlgeruch ausging. Da er Ruth liebte, konnte er verstehen, daß ein Mann eine Frau aus keinem andern Grunde liebte, als weil sie wohlriechend war.
Nach der Ankunft auf der Farm lief sie überall umher mit Ausrufen der Freude und Erleichterung. Nichts war verändert. Nichts war in hundert Jahren verändert worden. Aber es war alles neu für sie, weil sie sich früher nie von hier entfernt hatte. Es war, als ob die blasse, kopfhängerische junge Frau, an deren Anblick er sich allmählich gewöhnt hatte, nie vorhanden gewesen wäre. Hier war das Mädchen, in das er sich verliebt und das er in diesem alten Hause geheiratet hatte.
Nach wenigen Tagen war auch ihm zumute, als ob sie nie fort gewesen wären. Er stellte das mitgebrachte unvollendete Bild beiseite und begann ein neues, den westlichen Blick von der alten Esche, unter der er vor einem Jahr an einem
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