Eine Liebesehe
abwechselnde Modelle unter den Millionen rings herum. Jetzt wollte er Porträts malen, keine Landschaften. Das wurde ihm in diesem Augenblick zur Gewißheit, als er sie in den Armen hielt und ihr Schluchzen hörte.
»Sei still«, sagte er, »sei still …«
Sie sprachen an diesem Abend nicht mehr miteinander. Sie gingen zu Bett, und sie schmiegte sich in seine Arme und gab sich ihm hin wie seit Monaten nicht, bis er von der Holdseligkeit und der Wildheit ihrer Leidenschaft ganz benommen war. Er antwortete darauf, verwundert und von Entzücken erfüllt. In ihr war überhaupt keine Kälte. Sie war für ihn ganz warm und weich und bereit. Da wußte er, daß er, was er auch aufgeben mußte, dieses Weib nicht aufgeben konnte.
Doch als der Sommer vorrückte, Tag um Tag, erschreckte ihn das, was er entdeckte, und ihre Hilflosigkeit vor ihrem eigenen Haß brachte ihn zum Schweigen. Denn sie gehörte zu jenen Geschöpfen, dies erkannte er allmählich, die ein Teil des Bodens sind, welcher sie zur Welt gebracht hat. Ihr Ich schrumpfte und welkte, wenn sie diesem Boden fern weilte, und keine Arbeit schien ihr wirklich wert, getan zu werden, und doch war Arbeit für ihre Gesundheit, ihren Körper und ihre Seele wesentlich. Er merkte zu seinem Entsetzen, daß sie in der Tat weniger schön war als früher, und er begann sich umzusehen und zu überlegen, ob er wohl New York verlassen könnte. Weshalb mußte er hier leben? Seine Begabung war stark genug, daß er überall zu arbeiten vermochte – wenigstens sollte sie das sein, wenn sie überhaupt etwas taugte.
Eines Tages im Juni betrat er die Galerie eines Kunsthändlers, der sechs Bilder von ihm zum Verkauf übernommen hatte. Seit einigen Wochen hatte er von dem Manne nichts gehört, und es wurde Zeit, fand er, daß er einmal nachforschte. Der Kunsthändler war nicht anwesend, aber das Mädchen am Pult in der Eingangshalle sagte, er könne ruhig hineingehen und seine Bilder betrachten. Eines sei an einen alten Herrn verkauft worden, der vor ungefähr einer Stunde gekommen wäre und vielleicht noch da sei. Wenigstens habe sie ihn nicht fortgehen sehen; allerdings habe sie inzwischen Mittagspause gemacht.
»Darf ich seinen Namen sehen?« bat William.
Sie blätterte in einem Eintragungsbuch und ließ den Finger eine Spalte hinuntergleiten.
»Hier«, sagte sie.
Er beugte sich über die Seite und las den Namen seines Vaters – Harold James Barton. Er äußerte nichts, da er viel zu bewegt war, als daß er dieser gewöhnlichen. Gummi kauenden Angestellten enthüllt hätte, was der Name für ihn bedeutete. Er sah nach dem Titel des Bildes. Es gehörte, fand er, zu seinen weniger guten Arbeiten; es war kein Bild von Ruth, sondern eines, das er an einem Frühlingsmorgen rasch hingeworfen hatte, eine Wagenladung von Blumen, die ein italienischer Gärtner zum Verkauf in die Stadt fuhr. Für einen Dollar war der Mann bereit gewesen, sein Pferd zum Straßenrand zu lenken und mit verschränkten Beinen und losen Zügeln dazusitzen, während William arbeitete. Danach hatte er für Ruth einen Primeltopf erstanden. Das Bild war klein, aber er hatte darin Sonnenschein eingefangen, auch das schlaue und fröhliche Gesicht des alten Italieners.
»Sie meinen, er ist vielleicht immer noch in der Ausstellung?« fragte er und blickte auf den Namen seines Vaters nieder.
»Er bleibt meistens längere Zeit, wenn er kommt«, antwortete das Mädchen, indem es das Eintragungsbuch weglegte.
William zauderte. Wollte er seinen Vater sehen? Seit seiner Heirat hatte er weder ihn noch die Mutter wiedergesehen, auch hatte er von ihnen und von Louise nichts gehört. Eines Tages, das wußte er, mußte das Schweigen ein Ende finden. Es war lächerlich, daß ein Sohn wegen eines so schönen Geschöpfes wie Ruth von seinen Eltern getrennt sein sollte. Er mußte nur eine Begegnung herbeiführen, und dann wäre alles wieder gut. Dessen war er so sicher gewesen, daß er es von Monat zu Monat aufgeschoben hatte. Jetzt, entschied er, war die Zeit gekommen. Wenn er jetzt eine Begegnung zwischen Ruth und seinem Vater bewerkstelligen konnte, war der Vater in der Lage, die gute Nachricht der Mutter heimzubringen.
Von diesem Impuls getrieben, ging er schnell in die Gallerie. Hier hielten sich an die Zwanzig Menschen auf, und er mußte seinen Vater suchen. Aber er fand ihn ganz leicht. Barton saß auf einem kleinen, geraden Stuhl, den er in die richtige Entfernung von der Wand gerückt hatte, an der Williams Bild
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