Eine Liebesehe
Frühstück gab William Ruth einen Kuß und ging fort, mit der Absicht, den blauen Himmel, die weißen Wolken, die Landschaft mit ihrem leuchtenden Grün und den unten liegenden fein gezeichneten Häusern und Kirchtürmen, die wie winziges Spielzeug waren, auf der Leinwand festzuhalten. So hatte er die Welt erblickt, als er an diesem Morgen zum Fenster hinausschaute.
›Hier ist das Universum‹, hatte er gedacht, ›lauter Himmel über einem Streifen Grün und Puppenhäusern.‹
Als er dieses Universum auf dem Hügel hinter dem Hause malte, sah er mitten am Vormittag einmal zum Hof hinunter und gewahrte Henry Fasthausers derbe Gestalt, die sich auf halbem Wege zu ihm befand. Er legte Pinsel und Palette hin. Er hörte ein Gebrüll. Dann erkannte er, daß Henry ihm durch Zeichen bedeutete, hinunterzukommen.
»Warum kommt der verfluchte Dummkopf nicht herauf?« murmelte er vor sich hin.
Er hatte keine Lust, sein Bild gerade jetzt im Stich zu lassen. Die frische Farbe begann dann zu trocknen, und er mußte von vorn beginnen. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Henry stand dort und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Erst als er sah, daß William herunterschritt, kam er ihm entgegen. Als er ungefähr in Rufweite war, rief er etwas, und William hörte Ruths Namen – Ruth? Er begann zu laufen.
»Was ist los?« schrie er.
»Sie ist verletzt – schwer verletzt!« rief Henry.
Da lief William noch schneller, und gleich darauf rannten sie miteinander dem Hause zu. William, schlank und beweglich, lief leichtfüßig voraus. Hinter ihm keuchte der beleibte Bauer.
»Sie führte heute früh ihre Kühe herüber. Wenn ich Bescheid gewußt hätte, dann hätte ich ihr meinen Stier gebracht. Meine Güte, eine Frau, die alles allein machen muß …«
Er war so wütend auf William, daß er beschlossen hatte, ihm einmal zu sagen, was er von einem Manne hielt, der die Frau eine Kuh herüberbringen ließ, damit das Tier gedeckt wurde! Ruth hatte sich deswegen selber geschämt.
»Wenn du nicht wärst, Henry, könnte ich's nicht schaffen«, hatte sie gesagt. »Ich hatte nicht damit gerechnet, daß die Kuh so bald schon so weit sein würde. Hal hätte helfen können, wenn ich gestern daran gedacht hätte. Aber die Kuh hat erst am Abend zu brüllen angefangen, und William kann das nicht ertragen …«
»Sie sagte, Sie könnten das Gebrüll nicht ertragen«, rief er William zu. »Deshalb brachte sie die Kuh herüber, das arme Ding. Wollte nicht, daß die Mädchen … und sie weiß, daß sie auf mich zählen kann.«
»Verdammt noch mal, was ist denn eigentlich geschehen?« William hatte sich herumgedreht und blickte ihn voller Zorn an.
»Sie ist schwerverletzt, das ist sie!« brüllte Henry zurück. »Ich sagte ihr, sie solle schnell aus dem Verschlag des Stiers 'rausgehn, aber sie ging nicht schnell genug 'raus. Der Stier stieß sie mit den Hörnern in den Rücken, schmiß sie in die Luft, und sie fiel auf den harten Boden. Dann hob ich sie auf.«
»O Gott«, stöhnte William.
Er rannte wie einst als sportlich gewandter Läufer den Hügel hinunter, durch den Obstgarten und den Blumengarten und dann durch die Küche. Kein Laut war im Hause zu hören.
»Oh, verdammt noch mal!« stöhnte er abermals. »Ruth – Ruth!«
Jill lief mit blassem Gesicht die Treppe herab.
»Mutter ist schwer verletzt«, sagte sie. »Der Arzt ist schon da. Er sagt, wenn der Stoß nur einen Zentimeter weiter nach rechts gegangen wäre, dann hätte sie einen Nierenriß bekommen.«
Er beachtete Jill nicht, sondern stürzte zum Schlafzimmer hinauf.
Da lag sie bäuchlings im Bett, seine Ruth, und der Arzt untersuchte die schreckliche Wunde. Mary war ganz bleich und hielt mit bebenden Händen eine Schüssel. Der Arzt schaute nicht auf, als William eintrat.
»Ist es … gefährlich?« rief William.
»Das kann ich noch nicht sagen.« Der Arzt, ein dicker Mann mittleren Alters, tastete mit zwei kurzen Fingern die Wunde ab.
Ruth ächzte, und William beugte sich über sie.
»Oh, meine Liebste«, flüsterte er.
»Sprechen Sie nicht mit ihr«, befahl der Arzt.
So stand William da und starrte auf Ruths dunkle Wimpern, die sich von ihrem blutleeren Antlitz abhoben. Sie war plötzlich in Ohnmacht gefallen. Das freute ihn für sie, aber was hatte es zu bedeuten? Er durfte keine Fragen stellen, bis der Arzt die Wunde behandelt und den Riß genäht hatte. Dann folgte er ihm hinunter. Henry Fasthauser wartete immer noch unten im Vorraum, aber
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