Eine Liebesehe
und unter dem großen Hut sah sie fast wie das junge Mädchen aus, das er zuletzt erblickt hatte.
»Elise!«
Er stürzte vorwärts und ergriff ihre beiden Hände.
»Ich dachte gleich an dich, als Ruth sagte, eine alte Freundin sei gekommen, doch dann meinte ich, du könntest es nicht sein.«
»Don ist tot, William.«
Sie merkte auf einmal, daß sie die ganze Reise gemacht hatte, um nur dies zu sagen. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, es zu sagen, doch als sie in Williams unveränderte braunen Augen schaute, wußte sie, weshalb sie hergekommen war.
»Oh, Elise!«
Er setzte sich neben sie aufs Sofa, immer noch ihre Hände haltend.
»Liebe Elise! Seit wann weißt du es?«
»Kurz vor meiner Abreise habe ich es erfahren.«
Sie hatte nicht richtig geweint, und jetzt spürte sie, daß sie weinen mußte. Eine ungeheure Flut stieg aus ihrem Herzen empor. Tränen stürzten ihr in die Augen, sammelten sich und begannen ihr über die Wangen zu rinnen.
»Gefallen bei einem Angriff«, hauchte sie. »Das ist alles, was ich weiß.«
»Und dein Mann?«
»Er mußte sich für Kriegsarbeit melden. Das Haus ist ganz leer …«
Ihre Lippen zitterten, und dann bedeckte sie mit einem lauten Schrei das Gesicht mit beiden Händen, beugte sich vor und weinte endlich.
William sprach nicht. Behutsam nahm er ihr den großen Hut ab und legte ihn hin. Ihr einstmals schwarzes Haar war jetzt von gleichmäßigem Grau, wie er mit Schrecken bemerkte. Aber sein eigenes Haar war ja weiß. Die Jahre waren über sie beide hinweggegangen. Schwer zu glauben, so natürlich schien es ihm, Elise wiederzusehen. Sie hatten einander als Kinder gekannt. Er legte ihr den Arm um die Schultern.
»Das Weinen tut dir gut«, sagte er sanft. »Arme Elise, ich weiß, daß du dich zusammengenommen hast, und das ist dir immer schwergefallen, wie ich mich erinnere.«
»Hast du solche Erinnerungen an mich?«
Mit feuchtem Antlitz schaute sie zu ihm auf. Jetzt sah er, daß sie älter war. Die Tränen entlarvten sie. Sie würde immer schön sein, weil sie ein gut geschnittenes Gesicht hatte. Aber ihr Mund war traurig, und um ihre Augen hatten sich Fältchen eingegraben; auch zwischen den Brauen war eine tiefe Falte, als ob sie die Brauen häufig runzelte. Es war kein glückliches Gesicht, und das Leben, nicht der Tod, hatte es gezeichnet.
»Ich habe viele Erinnerungen an dich«, sagte er schlicht.
Die Türe öffnete sich, und Ruth stand da, in den Händen ein Tablett, auf dem alte kleine Gläser voll Löwenzahnschnaps waren und eine Silberschale mit dem Salzgebäck, das sie immer im Hause hatte.
Sie riß die blauen Augen weit auf. »Ist es dir recht, William?«
»Ja, natürlich«, antwortete er schnell.
Er wurde sich bewußt, daß sein Arm immer noch um Elises Schultern lag, und er ließ ihn allzu hastig sinken. Es trieb ihn, Ruth in Selbstverteidigung zuzurufen: ›Sie hat ihre beiden Söhne verloren …‹, aber er unterließ es. Für Ruth war Elise eine Fremde.
»Trink ein bißchen von Ruths gutem Schnaps, Elise«, sagte er. »Das wird dir guttun.«
Ohne Ruth noch einmal anzusehen, nahm er ihr das Tablett ab, setzte es hin, ergriff ein Glas und reichte es Elise. Doch als er das zweite Glas Ruth geben wollte, merkte er zu seiner Verwunderung, daß sie fort war. Nachdem er ihr das Tablett abgenommen, hatte sie sich einfach umgedreht und das Zimmer verlassen. Er zürnte ihr, und sein Zorn überraschte ihn, weil er diese Empfindung sonst nicht kannte. Noch nie war er auf Ruth böse gewesen! Er setzte sich wieder, kostete von dem Schnaps und stellte das Glas ab.
Auch Elise konnte nicht trinken, das Schluchzen hinderte sie. Sie wollte reden, wollte ihm alles von Don erzählen, wie er aussah, was für ein kräftiges Kind er immer gewesen, das ihr keinen Kummer bereitet, das sich in der Schule und auch auf der Universität stets ausgezeichnet hatte. Er hatte Politiker werden wollen – das war bei Ronnies englischer Familie Überlieferung. Jetzt war das alles vorbei, ehe es überhaupt begonnen.
»Warum, William? Warum – warum?« schluchzte sie.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte er. »Wenn ich diese Frage beantworten könnte … es ist alles Zufall, soweit ich zu sehen vermag, Zufall, daß man geboren wird, Zufall bei allem, was man tut, und wohl auch Zufall, daß man stirbt.«
»Aber … aber in deinem Brief über Rex sprachst du vom Weiterleben nach dem Tode, wenigstens bei einigen Menschen«, sagte sie kläglich. »Hast du irgendeinen
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