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Eine Liebesehe

Titel: Eine Liebesehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pearl S. Buck
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waren ihm seine Enkel, besonders die kleinen und am meisten Richard.
    »Guten Tag, Großvater«, sagte Richard unveränderlich.
    »Guten Tag, Richard«, antwortete William dann ebenso unwandelbar.
    Sie gaben sich die Hand, und das war alles. Aber es gefiel ihm, daß von den sechs Kindern, die Mary und Joel hatten, wenigstens Richard daran dachte, wie er angeredet werden wollte. »Ich mag nicht Großpapa genannt werden«, hatte er oftmals unwillig zu seinen Enkeln gesagt. Aber nur Richard vergaß es nicht.
    Er stieg nun hinauf, und er blieb einen Augenblick am Hang stehen, nicht um sich schon hinzusetzen, sondern bloß um ein wenig Atem zu schöpfen. Er konnte immer noch nicht über die großen Bäume hinaussehen. Aber die Frage, ob sie bleiben sollten, wo sie standen, war jetzt erledigt, denn es war niemand fähig, sie zu fällen. Joels Schulter hatte sich mit dem Alter verschlimmert, und keiner seiner Söhne vermochte wie er früher die Axt zu schwingen oder die Säge zu handhaben. Ruth hatte keinen Knecht mehr, seit Gus Sigafoos im Krieg gefallen war – der arme alte Gus, der kaum lesen und schreiben konnte und keine Ahnung hatte, worum der Krieg ging, gehörte zu jenen, die den Buchstaben erfüllt hatten und, gezwungen, nach dem Waffenstillstand weiterzukämpfen, in letzter Minute für nichts gestorben waren.
    William vermochte jetzt nicht viel anderes mehr, als über das Fällen der Bäume nachzudenken. Es ermüdete ihn sogar, seine Palette zu halten. Er malte knapp ein Bild im Jahr, allerdings nicht nur weil er müde war. Er wußte, was er malte. Es waren die Bilder eines alten Mannes. Darüber täuschte er sich nicht. Er wußte längst, daß er den Kunstgriff der Tiefe und des Leuchtens nicht mehr beherrschte, gerade jenes Könnens, das diejenigen, welche es erfaßten, begeistert hatte. Wieso und seit wann er es nicht mehr beherrschte, entzog sich seiner Kenntnis. Aber seine Bilder waren nun allgemein bekannt. Die Schulkinder vom Lande wurden immer noch hingeführt, und die ganze Gegend war stolz auf ihn. Seine Bilder hingen in ländlichen Wohnstuben. Manchmal erhielt er für eines sogar hundert Dollar, doch gewöhnlich durfte er nur fünfundzwanzig oder dreißig Dollar fordern, und die meisten verkaufte er zu zehn Dollar. Immerhin waren die Leute ringsum stolz auf ihn. »Unser Landschaftsmaler«, so nannten sie ihn. Getreulich hatte er die Jahreszeiten gemalt, wie sie die Landschaft prägten, in der er lebte. Aber er wußte jetzt, daß er ein Greis wurde.
    Bisweilen machte er sich ein wenig Sorgen, weil ihm klar war, daß er immer arm sein würde – nicht seinetwegen natürlich, sondern Ruths wegen. Er hatte den Kindern verboten, an seine bevorstehende Erbschaft zu denken, und doch hatte er irgend etwas erwartet. Aber sein Vater hatte auf Grund eines alten, kurz nach Williams Heirat aufgesetzten und nie mehr abgeänderten Testaments fast sein gesamtes Vermögen für die Gründung und Erhaltung eines Kunstmuseums bestimmt, dessen Mittelpunkt seine eigene Sammlung bilden sollte. Das Geld, das er hinterließ, reichte nicht für die Errichtung des großen Marmorgebäudes, für das ein berühmter französischer Architekt schon genaue Pläne gezeichnet hatte. »Die Hinterlassenschaft ist viel geringer, als wir dachten«, hatte Louise geschrieben. »Seit der Staat während des Krieges die Eisenbahn übernommen hat, ist das Unternehmen wertlos geworden. Kein Wunder, daß man es den Privatkapitalisten zurückgeben wollte!« Sie und Monty dachten heute kaum mehr an etwas anderes als an die Frage, wie sie die Regierung, die sie ganz und gar nicht billigten, überlisten könnten.
    William blieb nach dem Tode seiner Mutter laut des väterlichen Testaments nur gerade so viel Geld, daß es für Ernährung und Kleidung einer einzigen Person reichte – nicht für eine Familie. Ruths Bruder Tom wünschte, daß er das Testament anfocht, aber dagegen sträubte sich William, obwohl er nicht wußte, aus welchem Grunde.
    ›Ich habe meinen Vater zur Genüge enttäuscht‹, hatte er mit geheimer trauriger Zärtlichkeit gedacht. ›Ich will ihn nicht auch noch seiner Bilder berauben.‹
    Er kletterte immer noch den Hügel hinauf, und jetzt, auf halbem Wege, erkannte er, daß Ruth recht gehabt hatte. Er hätte nicht hierhergehen sollen. Er versuchte es noch weitere fünf Minuten. Schritt um Schritt stieg er empor, mehr vermochte er nicht.
    Schließlich setzte er sich, um auszuruhen, und schöpfte Luft. Sein Herz klopfte so

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