Eine Liebesehe
daß er nichts anderes zu erledigen hatte, aber sie war nun selber alt.
Sie grübelte immer wieder über ihren Kummer, seine Malerei – einen müßigen Zeitvertreib nannte sie diese Tätigkeit, die ihn von jeher davon abgehalten hatte, einen richtigen Beruf auszuüben und Männerarbeit zu verrichten. Was für einen Sinn hatte es, noch mehr Bilder zu malen, wenn sich schon beinahe hundert unverkaufte in der Scheune stapelten? Das war wenig genug, wenn es galt, zu zeigen, womit man eine ganze Lebenszeit verbracht hatte.
Aber schließlich war das Leben immer eine Enttäuschung, man mochte es anschauen, wie man wollte. Sie hatte eine Enttäuschung nach der andern erlitten. Da war Hal, der nie mehr aus Frankreich heimkam und nun wohl gar nicht mehr kommen würde. Sie hatte fast vergessen, wie er aussah. Er hatte zwei Kinder, beides Mädchen, beide dunkel und dünn. Ihre Photographien standen im Salon auf dem Kaminsims.
›Trotzdem fühle ich mich nicht im geringsten mit ihnen verwandt‹, dachte sie jedesmal, wenn sie die Bilder einmal in der Woche abstaubte.
Sie seufzte, preßte die Lippen zusammen und beschleunigte die Bewegung, mit der sie die glänzende Nadel auf und ab weben ließ. ›Dafür daß William nicht arbeitet‹, dachte sie, ›zerreißt er seine Strümpfe wunderbar.‹
William war nicht sicher, ob er zum Gipfel des Hügels gelangen könnte, aber er wollte es versuchen. Er sehnte sich sehr danach, über die grünen Bäume hinauszusehen, die jetzt das Bauernhaus so stark beschatteten. Im Laufe der Jahre, die er und Ruth hier gemeinsam verbracht hatten, waren die Bäume, die schon hohe Kronen trugen, als er sie zum erstenmal sah, ungeheuerlich gewachsen. Sie breiteten sich über den Himmel aus, und unter ihnen fühlte er sich erstickt.
»Wir wollen sie fällen«, sagte er immer wieder zu Ruth. »Was die Bäume, die mein Urgroßvater gepflanzt hat?« rief sie jedesmal entsetzt. »Ich bitte dich, mein Vater würde ja aus dem Grabe auferstehen!«
»Dann laß sie um Gottes willen«, erwiderte er mit absichtlichem Spott, der ihr, wie er wußte, entging, so daß er sie nicht damit verletzte.
Es gab nur einen Menschen in dieser Familie, bei dem man nicht darauf vertrauen konnte, daß er spöttischen Bemerkungen gegenüber abgestumpft war, und das war Marys jüngster Sohn Richard. In den dunklen Augen dieses Kindes, das erst seit kurzem, wie es William schien, groß genug war, um über den Sonntagstisch hinüberzusehen, gewahrte er manchmal etwas, das Verständnis verriet – sogar ein vergnügtes Aufblitzen bei den kleinen trockenen Scherzen eines alten Mannes –, so daß er sich fragte, ob nicht ein Samenkorn seiner eigenen Seele, im fremden Strome von Ruths Blut weitergetragen, in dem Knaben Wurzel geschlagen hätte. Aber er wußte es nicht. Wenn Richard mit ihm sprach, zeigte er sich fern und reif. Tatsächlich zählte der Junge erst zehn Jahre, und Mary war, wie er hoffte, wohl über das Alter hinaus, um noch mehr Kinder zu bekommen. Sechs genügten. So ging das Leben jetzt schnell weiter. Schon war Mary dick und näherte sich den Wechseljahren, Joel hatte graue Haare, und der alte Fasthauser lebte nicht mehr – vor sechs Jahren hatte ihn bei einem Zornanfall der Schlag getroffen –, und der junge Henry hatte studiert und war Rechtsgelehrter geworden. William hatte darauf bestanden, daß Henry studieren sollte. Joel hatte die beiden Farmen gut bewirtschaftet, und es bestand kein Grund, den Jungen zurückzuhalten. Bei allen Kämpfen, die William führte, setzte er sich jetzt für seine Enkel ein – sie sollten nicht zurückgehalten werden.
Er begann den Hügel hinaufzusteigen.
Jill hatte ganz Elise gehört, einer alten, brillantenbehängten Dame, bis Elise vor einem Jahr bei einem Autounfall in London tödlich verunglückt war. Nachdem sie Jill zu sich genommen, war sie nie mehr zu Ronnie zurückgekehrt. Eine Scheidung hatte es nicht gegeben, kaum eine Trennung. Ronnie kam immer noch dann und wann. Neuerdings sagte er fortwährend, daß ein neuer Weltkrieg drohe, aber niemand wollte ihm glauben.
»Nichts ist für den Frieden getan worden«, beharrte Ronnie, doch immer noch hörte niemand auf ihn. Die meisten Menschen meinten, der vorige Krieg hätte ihn ein bißchen verrückt gemacht.
Und Hal blieb in Frankreich. Er war Taxichauffeur in Paris. Sonderbar, einen Sohn zu haben, der so etwas trieb. Aber keinem seiner Kinder fühlte William sich jetzt sehr verbunden. Weitaus näher und teurer
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